Lawinenexpreß
Mantel halten. »Es würde ihnen gar nicht gefallen, wenn du einen Einbruch nicht meldest«, sagte Frey leichthin, als er sie nach unten begleitete. Die Bar war überfüllt, rauchgeschwängert und dröhnte unter den Klängen aufreizender Popmusik. Er ging mit ihr zum Ausgang und erklärte ihr nochmals, wie sie zu gehen habe. »Ich würde gern mitkommen, aber ich erwarte einen Anruf aus Davos«, bemerkte er beiläufig.
Er blieb vor dem Hoteleingang stehen, als sie wegging, rieb sich das Gesicht, als machte ihm der schneidende Wind zu schaffen, stieg dann in seinen Lieferwagen und fuhr mit hoher Geschwindigkeit zum Bauernhof zurück. Wenige Meter weiter auf der Straße parkte ein unbeleuchteter Peugeot. Am Steuer saß Erich Volcker. Er hatte das Zeichen gesehen, das Frey ihm gegeben hatte, und wartete, bis Anna Markos in der Seitenstraße verschwunden war.
Dann schaltete er die Scheinwerfer ein und versuchte, den Motor anzulassen.
Anna Markos ging die leere Seitenstraße hinunter und zog ihre Ohrenschützer ab; jetzt konnte sie ihr feines Gehör wieder gebrauchen. Die Straße war kerzengerade und eng – so eng, daß sie nur ein Fahrzeug durchließ. Auf beiden Seiten waren die Fensterläden zugeklappt. Die Häuser lagen still da, und leichte Schneeflocken wirbelten träge zur Erde herab. In der abendlichen Stille hörte Anna nur das Knirschen ihrer Stiefel auf dem verharschten Schnee. Und dies, das wußte sie, war nicht der Weg zur Polizeiwache.
Dann hörte sie, wie hinter ihr der Wagen in die Straße einbog. Sie begann schneller zu gehen. Mit ihren langen, kräftigen Beinen schritt sie weit aus. Sie gab sich Mühe, nicht zu laufen: Ein Ausrutscher auf der vereisten Straße, und es wäre mit ihr zu Ende. Am Steuer des Peugeot saß eine groteske Gestalt: Erich Volcker war klein und sehr fett, aber es war hartes Fett, das er mit sich herumtrug. Er hatte stämmige Beine und kleine, zierliche Füße. Sein runder Schädel war völlig kahl, und seine aufgeworfenen Lippen zogen sich zusammen, als er die Griechin in den Scheinwerferkegel bekam. Er holte tief Luft und trat das Gaspedal durch.
Anna Markos hörte die Veränderung des Motorengeräuschs. Im Scheinwerferlicht sah sie wenige Meter vor sich einen großen runden Felsbrocken, der vor einer Haustür lag. Sie ging das Risiko ein, die wenigen Schritte zu laufen, bückte sich, hob den Felsbrocken auf und fuhr herum. Hinterm Lenkrad starrte Volcker sie fassungslos an, als er sie herumfahren und ihn anblicken sah. Er behielt den Fuß auf dem Gaspedal. Der Felsbrocken flog durch die Luft, traf Volckers Windschutzscheibe mit großer Wucht, und die Scheibe zersplitterte. Für einen Moment hatte er noch das volle Sehvermögen, in der Sekunde darauf konnte er nichts mehr sehen. Er hielt das Lenkrad starr auf Kurs, sah aus dem Seitenfenster und beobachtete, wie die Hauswände an ihm vorüberrasten. Er wahrte immer den gleichen Abstand von den Häusern und wartete nur noch auf den dumpfen Aufprall, wenn er die Griechin erfaßte und überfuhr.
Anna preßte sich in den Hauseingang und beobachtete, wie der Wagen an ihr vorüberglitt, weiter die Straße hinunterfuhr, an der Ecke fast zum Stehen kam und dann um die Kurve verschwand. Sie ging mit raschen Schritten die Straße zurück und bog dann nach rechts in die Hauptstraße ein, wo es Lichter und Menschen gab. Als sie wieder das Hotel Storchen betrat, zeigte ihr Gesicht das gleiche neugierige Lächeln wie in dem Augenblick, in dem sie ihren Schmuck zusammengepackt hatte, um ihn in den Gully zu werfen.
Anna Markos, die Agentin, die Harry Wargrave nach Andermatt entsandt hatte, war eine sehr tapfere Frau. Sie hatte zwar den Verdacht gehabt, daß Robert Frey das Oberhaupt der von Andermatt aus operierenden kommunistischen Zelle sei, war aber nicht sicher gewesen. Unter Einsatz ihres Lebens hatte sie Frey eine Falle gestellt und sich dabei selbst als Köder angeboten – und jetzt hatte sie Gewißheit. Der Versuch, sie zu ermorden, hatte ihren Verdacht erhärtet. Als sie die überfüllte Empfangshalle betrat, packte ein Franzose sie am Arm.
»Anna, komm, laß uns einen Drink nehmen. Für den Anfang…«
»Rene, ich suche Robert Frey…«
»Er ist gerade weggefahren…«
»In welche Richtung? Hast du eine Ahnung?«
»Ja, er ist dort hinuntergefahren…«
Rene zeigte nach Westen, in Richtung Bauernhof außerhalb Andermatts, wo der Hubschrauber in der Scheune stand. Anna rannte nach oben, schloß sich in ihrem Zimmer ein und
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