Lawinenexpreß
die Ohren. Wir sollten also aufhören, unsere Zeit zu verschwenden, und uns der nächsten Phase des Unternehmens zuwenden.«
»Und die wäre?« wollte Springer wissen.
»Ich werde mit dem Alouette-Hubschrauber losfliegen, den Sie auf dem Güterwagen abgestellt haben. Elsa fliegt mit mir. Dann brauche ich noch den Funker, den du mitgebracht hast, Leon – um mit dem Expreß Verbindung zu halten, wenn wir in der Luft sind…«
»Das kommt gar nicht in Frage«, polterte Haller los. »Elsa mitzunehmen…«
»Muß ich dich wirklich noch einmal daran erinnern, Julian«, versetzte Wargrave leise, »daß ich dieses Unternehmen leite, solange wir in Europa sind?«
»Warum willst du den Hubschrauber jetzt einsetzen?« fragte Springer neugierig. »Zwischen hier und Airolo habe ich in bestimmten Abständen an der Bahnlinie Soldaten postiert… Sie stehen an allen wichtigen strategischen Punkten…«
»Weil ich es vielleicht für richtig halte, die Strecken zwischen diesen Punkten zu überprüfen.« Wargrave grinste sardonisch, als Elsa den Gazestreifen wegnahm. »Wenn dir das nicht gefällt, nenn es ruhig meinen sechsten Sinn – jetzt ist schon seit einiger Zeit nichts mehr passiert, und ich rechne damit, daß Scharpinsky schon sehr bald wieder in Aktion tritt.«
Marenkow hatte sich nicht an der Diskussion beteiligt, aber die Erwähnung seines Stellvertreters, Oberst Igor Scharpinskys, rief ihn auf den Plan. Haller hatte sich erst vor kurzem entschlossen, Marenkow von der vermuteten Anwesenheit des GRU-Mannes in Zürich zu erzählen. »Ich stimme Mr. Wargrave zu«, sagte er ruhig. »Es ist schon zu lange ruhig geblieben. Ich spüre wie er, daß sich irgend etwas zusammenbraut…«
Fünfzehn Minuten später half Wargrave Elsa über den gähnenden Schlund zwischen dem schwankenden Schlafwagen und dem offenen Güterwagen, auf dem der von einigen Schweizer Soldaten bewachte Alouette-Hubschrauber angekettet stand. Elsa kletterte in die Kabine und streckte einen Arm hinunter, um die automatische Waffe entgegenzunehmen, die ihr von einem der Soldaten gereicht wurde. »Viel Glück«, rief der Schweizer aus.
Elsa trug Skihosen und eine Pelzjacke mit Kapuze, die sie sich über den Kopf gezogen hatte; dazu pelzgefütterte Stiefel – sämtliche Kleidungsstücke hatte sie von einem von Springers Gebirgsjägern erhalten, die sich im Zug befanden. Auf dem Sitz des Kopiloten saß bereits der Funker Springers, Max Bruder, ein kleiner, dünner Mann, der Englisch beherrschte. Wargrave kletterte als letzter an Bord und setzte sich auf dem Pilotensitz zurecht, als zwei Schweizer Soldaten sich auf dem schwankenden Güterwagen bückten, um auf ein bestimmtes Zeichen hin die Ketten zu lösen.
Von der offenen Tür des letzten Schlafwagens aus sah Oberst Springer besorgt zu. Sein Gesicht war von der Kälte gerötet. Er war allein – Haller war im Abteil zurückgeblieben, um Marenkow zu bewachen, während Matt Leroy auf dem Gang patrouillierte. Der Schweizer Oberst war alles andere als glücklich über das Manöver, das Wargrave vorhatte. Dieser mußte den Augenblick des Abhebens mit unglaublicher Präzision berechnen. Der offene Güterwagen schwankte beachtlich – wie immer beim letzten Wagen eines Zuges. In dem Augenblick, in dem die Ketten gelöst wurden, mußte Wargrave sofort die maximale Steigleistung zur Verfügung haben, um problemlos abheben zu können. Er durfte auf keinen Fall den Motor abwürgen, denn dann würde der Hubschrauber krachend auf den Güterwagen zurückfallen – oder auf den Gleisen zerschellen. Zudem blies ein kräftiger Seitenwind aus östlicher Richtung.
Hinter Wargrave in der beheizten Kabine saß Elsa, die sich dabei ertappte, daß sie die automatische Waffe fest umklammert hielt, als Harry den Motor anließ. Das Rotorblatt über ihnen begann sich zu drehen, erst ruckhaft, bis es ein schnelles gleichmäßiges Schwirren erreicht hatte. Elsa sah nach unten und entdeckte, daß ihre Knöchel in dem fahlen Lichtschein der Instrumententafel weiß aufleuchteten. Der Hubschrauber vibrierte vor Kraft und schien förmlich auf das Abheben zu drängen. Elsa holte tief Luft und zwang sich zu entspannen. In diesem Augenblick hob Wargrave eine Hand und ließ sie wieder sinken – das war das Zeichen für das Lösen der Ketten. Ausgerechnet in diesem Augenblick schwankte der Güterwagen besonders heftig, und zudem erfaßte ein starker Windstoß den Hubschrauber.
»Mein Gott…«
Der Hubschrauber stieg senkrecht auf und
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