Lazyboy
danach hat es sich irgendwie nicht ergeben. Ich mag eben Städte gerne, ich gehe gerne ins Museum und so. Und nach dem Abitur bin ich in Indien gewesen für vier Monate, im Landesinneren.«
»Das müssen wir ändern«, sage ich und blicke in den Rückspiegel, ob ich hier auf der Autobahn einen U-Turn hinlegen kann, aber es sind zu viele Autos unterwegs. Außerdem gibt es da noch die Leitplanke.
»Jeder Mensch muss einmal in seinem Leben am Meer gewesen sein«, sage ich, »mindestens einmal. Hast du es eilig, nach Deutschland zu kommen?«
»Nö«, sagt sie, »nicht unbedingt.«
»Ich auch nicht«, sage ich und stelle fest, dass es der Wahrheit entspricht.
Es dämmert, als wir in Zandvoort unter Laternenmasten an der Strandpromenade entlangfahren. Zandvoort liegt 30 Kilometer von Amsterdam entfernt an der Nordsee. Vermutlich ist es mal ein hübsches Strandbad gewesen. Jetzt wird die Strandpromenade von einem hässlichen 60er-Jahre-Hochhaus überragt, und rechts die Küste entlang kann man die Rohre und Lampen und Schlote der Raffinerien leuchten sehen, und draußen auf dem Meer glimmt eine Bohrinsel. Wenn man in Zandvoort am Strand spazieren geht, muss man aufpassen, dass man nicht in Teerklumpen tritt, die mit den Wellen angespült werden, ich habe mir schon einmal ein Paar Turnschuhe versaut.
Ich stelle den Wagen ab, wir klettern die Düne Richtung Meer hinunter, rennen durch den Sand zum Strand hinab. Die Luft riecht salzig, die Sonne hängt wie ein rotes Jo-Jo über der Horizontlinie. Man kann gar nicht anders, als augenblicklich zu entspannen. Silke lächelt, ihr Gesicht glänzt orange, sie sieht hübsch aus, ich greife ihr unwillkürlich in die Haare. Ich ziehe sie zu mir heran.
»Jetzt bist du am Meer«, sage ich. Wir stehen direkt am Strand, ich halte ein fremdes Mädchen im Arm.
»Ja«, flüstert sie, und damit ist alles ausgetauscht, was es zu sagen gibt. Der Rest ist Duft und Mund und Zunge.
Später sitzen wir im Sand und schauen dem Nachglühen, dem Auslöschen des Himmels zu.
»Du hast nicht zufällig etwas zu kiffen dabei?«, fragt sie.
»Nein, ich kiffe nicht, da halte ich überhaupt nichts von.«
Ich lache vor mich hin, und sie weiß nicht, warum, aber sie sagt nichts.
Ich muss an Monika denken und daran, dass ich jetzt gerne in ein Pensionszimmer gehen würde mit diesem Mädchen, um es am nächsten Morgen möglichst schnell wieder loszuwerden. Denn mir schwant schon, dass es mir dann langweilig geworden sein wird. Ich lächele, und der dunkler werdende Himmel fasst mir grimmig ins Gesicht, betastet meine Nase und die Wange, er überlegt, wohin er mich am besten schlagen soll, seine Ohrfeige platzieren, damit es möglichst nachhaltig wehtut.
Mein Telefon klingelt. Es ist Monika, das kann ich auf dem Display erkennen. Ich bin mutig und drücke sie nicht weg.
»He«, sage ich.
»Kannst du mir mal sagen, wo um Himmels willen du steckst?! Ich warte seit einer geschlagenen Stunde auf dich!«
Man hört Monikas Stimme an, dass sie schon einmal besserer Laune war. Wahrscheinlich hört man es bis ins oberste Stockwerk des Hochhauses hinauf.
»Monika«, sage ich beschwichtigend und gehe ein paar Schritte von dem fremden Mädchen weg.
»Wo bist du?! Kannst du mir das bitte mal erklären!«
»Mir ist etwas dazwischengekommen. Ich kann jetzt schlecht sprechen.«
»Dir kommt ständig etwas dazwischen. Du kommst dir ständig dazwischen. Das ist doch auf Dauer kein Zustand. In letzter Zeit fallen dir noch nicht einmal mehr gute Entschuldigungen ein.«
Ich setze mich in den Sand und schaue einem Fischkutter zu, der parallel zur Küste vorbeizieht. Ich frage mich, was er hier zu fangen hat mit seinen Netzen, Teerklumpen?
»Mo«, sage ich, »ich wurde spontan von Holger nach Holland an die Küste geschickt, um über die niederländischen Erdölraffinerien und die Folgen der Ölplattformen für die Wattenmeerfauna zu schreiben. Ich bin morgen wieder in der Stadt, versprochen. Du weißt doch, dass das alles immer wahnsinnig schnell geht, dass ich nur Yes oder Hopp sagen kann und dann losmuss. Ich – ach, es tut mir leid, ich habe versucht dich zu erreichen. Und ich liebe dich, das sollst du unbedingt wissen.«
Es ist eine Weile still, dann sagt sie: »Ich dich auch, aber so geht es nicht weiter.«
Ein Pärchen joggt synchron schnaufend vor mir im Sand vorbei, mit Trippelschritten, zwei dicke, kleine Personen in identischen Kunststoffanzügen, bei denen unmöglich zu sagen ist, wer Männchen und wer
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