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Lazyboy

Lazyboy

Titel: Lazyboy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Weins
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Expeditionsbehandlung.«
    »Expositionsübung, wie auch immer. Es war sehr voll da, verstehen Sie?«
    »Was haben Sie gesehen?«
    »Ach, es war so voll, eben noch hielten wir uns an der Hand, dann waren Sie auf einmal, als wir das Geschäft betraten, verschwunden. Da waren viele andere Leute neben mir, und ich habe Sie nicht mehr gesehen. Ich weiß nicht, wohin Sie verschwunden sind. Vielleicht sind Sie durch einen dieser magischen Durchlässe geschlüpft, vielleicht aber spielen Sie auch ein Spiel mit mir und haben sich im Gewusel verborgen. Ich weiß es nicht.«
    Sie schaut mich hilflos an.
    »Was ich weiß, ist, dass es wichtig für Sie ist, dass es Sie beschäftigt, dass es Sie quält. Und dass Sie verstehen wollen, was da genau mit Ihnen passiert. Und dass Sie darüber hinwegkommen wollen, so unverbindlich zu sein, so geworfen, so unstet, Spielstein zu sein im Spiel von Kräften, die Sie nicht verstehen.«
    Ich sitze da und sehe sie an.
    »Deshalb scheint es mir wichtig, dass wir uns das Muster dahinter anschauen, dass wir gucken, warum Ihr Problem da ist und ob es nicht doch mit Ihnen und Ihren persönlichen Umständen und Beziehungen zu tun hat. Wir können uns gemeinsam auf die Suche nach dem Schlüssel zu diesen Türen machen, das kann ich Ihnen immer noch ehrlich und mit offenem Herzen anbieten.«
    Ich sitze da und sehe sie bloß an.
    »Es ist und bleibt ja faszinierend, wenn wir es als Symptom betrachten, und ich sage Ihnen ehrlich, dass es mir noch nicht untergekommen ist und dass es auch in der Literatur so direkt nicht beschrieben steht. Und deshalb schlage ich vor, dass wir uns darauf einigen, es als Symptom eines außergewöhnlichen Geisteszustands anzusehen.«
    Ich komme mir vor, als stünde ich mit Eselskappe in der Ecke des Raumes vor der Schulklasse, ich bin in mich hineingesunken, mir fehlen sicherlich mal wieder vier Zentimeter zu meiner sonstigen Körpergröße.
    Ich sage: »Können Sie nicht wenigstens so tun, als würden Sie mir glauben?«
    »Ich glaube Ihnen ja auf eine Art.«
    Ich sage: »Nein, richtig.« Ich sage: »Ich wünsche es mir so.« Ich sage: »Ich wünsche mir, dass ich vor einem erwachsenen, kritischen, normalen Menschen nicht alles verbiegen muss, was ich erlebe und woran ich glaube, dass ich einmal nicht ständig herumlügen muss, damit man mich für einen gesunden, normalen, funktionierenden Erwachsenen hält. Es würde mich erleichtern, wenn da jemand wie Sie wäre, der einfach sagt, gut, es klingt wie der letzte Müll, aber ich nehme es jetzt erst einmal hin. Wir waren auf so einem guten Weg, wir beide, ich hatte wirklich den Eindruck, Sie bewerten den Mist nicht, den ich von mir gebe.«
    Jetzt schaut sie mich schweigend und mit offenem Mund an. Ihre Augen schwimmen, man könnte Bötchen in ihnen fahren lassen. Sie strahlt ein trauriges, betroffenes Licht aus. Sie sieht schön dabei aus.
    Dann sagt sie: »Es ist kein Mist, den Sie von sich geben. Ich möchte mich bei Ihnen entschuldigen. Sie haben recht. Sie haben ein Anrecht darauf, dass Ihnen jemand Glauben schenkt. Und ich werde mich bemühen, dieser Jemand zu sein. Ich versuche, Ihnen zu folgen, versprochen. Darauf können Sie sich verlassen. Haben Sie Nachsicht, wenn es nicht immer gelingt, ja?«
    »Danke«, sage ich.
    Als ich die Praxis verlassen habe und wieder auf der Straße stehe, komme ich mir irgendwie schmaler vor als sonst. Als wäre mir etwas abhandengekommen, ein Teil meiner Masse, mein Schatten oder mein Lachen, vielleicht auch meine Seele. Ich kann gar nicht sagen, wo ich diesen Teil verloren habe. Ob eben dort oben im Gespräch, ob Frau Merbold mit dem Verlust in Zusammenhang zu bringen ist. Oder ob er schon vorher fehlte, vielleicht eine ganze Weile schon, und ich habe bloß nie etwas davon mitbekommen. Ich schleiche dicht an der Wand entlang, an den Hauseingängen, an den Geschäften vorbei, meine Hand schleift über den roten Backstein, und ich werde das Gefühl nicht los, dass etwas grundsätzlich falschläuft in meinem Leben, dass ich etwas ganz und gar falsch angehe. Dass ich mich betrüge, dass ich ein Betrüger bin und gleichzeitig mein größtes Opfer. Ich kann es nicht genauer ausdrücken, es ist ein diffuses Gefühl, und es würde mich überhaupt nicht wundern, wenn jetzt irgendwo über mir ein Fenster aufginge und ein Usambaraveilchen hernieder auf meinen Kopf sauste.
     
    18
    Wir sitzen im Kreis auf Stühlen. 14 erwachsene Personen in Strümpfen. Die Schuhe musste man im Eingangsbereich

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