Lazyboy
gleich die Telefonnummer ausfindig zu machen und mich vor Ort für mein Verschwinden zu entschuldigen. Aber dann habe ich doch keine Lust dazu. Ich schätze, dass ich morgen eine Weile werde telefonieren müssen.
Ich könnte auch Monika anrufen und fragen, ob ich noch vorbeikommen soll. Aber vermutlich macht es sie misstrauisch.
Ich setze mich in den alten Sessel, den ich von meinem Vater geerbt habe. Ich schaue die Socken an meinen Füßen an.
17
Frau Merbold guckt mich ausdruckslos an. Sie sitzt hinter ihrer Tischplatte und hat die Hände flach vor sich ausgestreckt. Es ist kein Funken von Geist oder Seele in ihrem Blick, als sei sie selbst gerade von einer ausgedehnten Flugreise zurückgekehrt. Sie blickt mich stumpf an wie irgendein Ding, eine Sache, ein hübsches Holzkästchen zum Beispiel oder eine raffiniert geschneiderte Stola. Sofern diese Dinge blicken können.
»Sie waren also im Begriff«, hat sie gerade gesagt, »Ihre Partnerin handfest zu betrügen. Stimmt das so?«
Vielleicht ist da doch eine Art Ausdruck jetzt, ein Anflug von Strenge, von Missbilligung.
»Und nur die Tür hat Sie davon abgehalten?«
»Jawohl«, sage ich, »Euer Ehren, so war es, so trug es sich zu.«
»Kommt das öfter vor?«
»Dass ich meine Freundin betrüge?«
Sie nickt streng.
»Na ja, nein«, sage ich nach kurzem Zögern. Ich denke an die unzähligen Male, in denen ich Monika in Gedanken hintergangen und betrogen habe, in der U-Bahn, auf der Tankstelle, bei der Arbeit, in der Freizeit, ständig eigentlich. Ich denke an das eine Mal, als ich mit Laura geschlafen habe, ihrer besten Freundin immerhin, was bestimmt doppelt oder dreifach wiegt, im Stehen, das Kleid hochgeschoben, den Slip heruntergezerrt, es war Silvester, und es war Kokain im Spiel, aber das soll nichts entschuldigen, es geschah auf der Toilette, und Monika und Eduardo waren nur wenige Meter Luftlinie entfernt in derselben Wohnung. Schon damals hatten wir uns eigentlich scheiße gefunden, Laura und ich. Aber sexuell kann so etwas ja durchaus anziehend wirken.
»Sind Sie sicher?«
»Jein«, sage ich.
»Und Sie wollen bald heiraten, Ihre Verlobte und Sie, ist das richtig?«
»Ja«, sage ich, »richtig.«
»Glauben Sie, dass Sie dafür innerlich und äußerlich bereit sind?«
»Schon. Glauben Sie nicht?«
»Um mich geht es da ja nicht. Ich werfe nur die Frage auf.«
»Hm«, sage ich. Wir schweigen. Mein Eindruck ist, dass sie zornig ist, weil wir es unausgesprochen mit einem Fall von Frauensolidarität zu tun haben.
»Was hat das mit meinem eigentlichen Problem zu tun?«
»Ha«, sagt sie mit strengem Blick. »Ich frage mich, ob es sein kann, dass Sie eventuell noch nicht wirklich bereit sind, sich auf etwas, auf einen anderen Menschen, auf die Verantwortung für ein gemeinsames Leben, wirklich und vollkommen verbindlich einzulassen, ob Ihre Erlebnisse mit den Türen so etwas wie Fluchtbewegungen sind, um sich den Festlegungen, die ein alltägliches Leben im normalen Verlauf nun einmal zunehmend bedeutet, noch eine Weile zu entziehen.«
»Wie tiefsinnig«, sage ich. »Da hätte ich im Notfall auch noch alleine draufkommen können. Können wir nicht wieder konkret über die Türen reden? Das ist es doch eigentlich, warum ich hier bin. Mit meinen persönlichen Beziehungen ist doch alles normal, damit bin ich eigentlich zufrieden.«
»Sie wollen also nur konkret, wie Sie sagen, über die Türen reden. Okay, wenn Sie meinen, dass das sinnvoll ist.«
»Glauben Sie mir jetzt eigentlich«, frage ich, »glauben Sie mir die Geschichte mit den Türen?«
Sie knetet ihre Hände und schaut eine Handbreit über meinen Kopf hinweg die Wand an.
»Hm«, macht sie, »tja. Natürlich glaube ich Ihnen, dass Sie erleben, wovon Sie mir berichten.«
»Aber glauben Sie mir auch, dass es real ist? Glauben Sie daran, dass so etwas existieren kann?«
»Ach, das ist so schwer zu sagen, wirklich. Sie bringen mich da in ein wirkliches Dilemma. Ich möchte gerne ehrlich mit Ihnen sein. Ich empfinde durchaus Sympathie für Sie, und ich fürchte, es könnte Sie verletzen, wenn ich sage, dass ...«
»Was?«
»Dass mein Geist große Schwierigkeiten damit hat, als Wirklichkeit anzuerkennen, wovon Sie mir berichten. Ich möchte Ihnen wirklich gerne glauben, aber es läuft allem entgegen, was mein sogenannter gesunder Menschenverstand mir einflüstert, verstehen Sie?«
»Aber Sie haben es doch mit eigenen Augen gesehen, in der Fußgängerzone bei dieser
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