Lazyboy
Schlüssel zu dem Ganzen ist. Manchmal bringt mich so eine Tür an Orte, die ich glatt angekreuzt hätte auf meiner Wunschzielliste, und Amsterdam hätte ohne Zweifel dazugehört. Dann wieder finde ich mich irgendwo, wo ich noch niemals hingewollt hatte oder nie wieder hinwill. Ich verstehe es nicht, aber jetzt habe ich Glück. Früher sind wir oft hergekommen. Wir quetschten uns zu dritt oder viert in irgendein geliehenes Fahrzeug und bretterten die Autobahn hinunter Richtung Westen, jeder ein zerfleddertes Exemplar eines Jack-Kerouac-Romans in der Innentasche seiner Jeansweste.
Das letzte Mal musste ich noch Gulden tauschen.
Ich betrachte die Fahrradfahrer, die engen Gassen, die Grachten, über die wir auf Brücken fahren, unter denen sich flache Touristenboote durchschieben. Ich lausche den kehlig-weichen Lauten der Sprache in der Tram, die ich schon immer besonders gemocht habe, hinter, vor und neben mir.
Am Hauptbahnhof schlendere ich die Hauptstraße hinunter und biege bald in eine der kleinen Gassen ab. Ich betrete einen Coffeeshop, der sich The Best nennt, aber der Name ist eine Lüge. Von dem bleichen Rastamann hinter dem Tresen lasse ich mir aus Gewohnheit die Gras-Karte zeigen. Ich wähle ein Gras mit dem Namen Northern Lights aus. Ich lasse mir auch Tabak und Papers geben.
Ich setze mich ins Halbdunkel einer Nische und betrachte aus dem Schutz meines Nestes das Treiben auf der Straße. Automatisch, fast unfreiwillig beginne ich damit, einen Joint zu bauen, das ist wie mit dem Fahrradfahren, man verlernt es nie.
Ich muss daran denken, wie ich einmal mit Bert um fünf Uhr morgens ins Auto seiner Mutter gestiegen bin, die davon nichts wusste, um einen Tag in Amsterdam zu verbringen, die Idee war uns über Nacht gekommen. Um elf liefen wir schon mit großen, verstrahlten Augen durch die Straßen, fraßen alles gierig mit Blicken, die banalsten Dinge schimmerten in heiliger Fremdheit.
Das ist über 15 Jahre her. Und ich sitze da und kiffe wie früher, und ich bin nicht glücklich dabei. Plötzlich fühlt es sich schal an, ein Anachronismus. Was mache ich hier? Was will ich hier? Ich bin nicht freiwillig in der Stadt. Und es wird Zeit, dass ich hier rauskomme. Das ist Vergangenheit, das liegt hinter mir. Ich nehme einen letzten, langen Zug vom Joint, der sich dampfend in meiner Hand befindet. Der Rauch schwingt sich zur schwarz getäfelten Decke empor wie ein Drache in Flandern. Dann mache ich mich mit dem Beutel Gras in der Tasche auf den Weg zum Hauptbahnhof, um mir einen Zug Richtung Heimat zu suchen.
Im Hauptbahnhof überlege ich es mir anders. Aus Gründen der Nostalgie. Ich frage am Mietwagenschalter nach einem Fahrzeug, einmal wieder bekifft über die Autobahnen segeln. Die niederländischen Autobahnen sind die zivilisiertesten der Welt, vielspurig, modern, 50 Prozent der Fläche des Landes einnehmend, jeder Meter großzügig durch orange Lampen ausgeleuchtet. So sauber, dass ich ohne Bedenken eine Mahlzeit direkt vom Asphalt zu mir nehmen würde. Mit der Dame am Mietwagenschalter vereinbare ich teils auf Englisch, teils in einwandfreiem Niederländisch oder was ich dafür halte, dass ich das geliehene Fahrzeug bei der Zweigstelle des Unternehmens in meiner Heimatstadt zurückgebe. Sie hat weder an meinen Papieren noch an meiner Kreditkarte noch an meinem Äußeren etwas auszusetzen. Sie drückt mir die Autoschlüssel zu einem Ford Focus widerstandslos in die Hand.
Es ist noch hell, es ist noch Nachmittag, und ich denke, dass ich vielleicht mal einigen Leuten Bescheid sagen sollte, wann sie wo mit mir zu rechnen haben. Dann widme ich mich im Vondel Park dem restlichen Marihuana.
Auf dem Weg zur Autobahn sehe ich eine Anhalterin am Rand der Ausfallstraße mit einem gemalten Schild in der Hand: Deutschland. Eine etwas vage Ortsangabe, aber die Richtung stimmt. Sie ist blond, schlank, hochgewachsen, die Beine in enge Jeans gezwängt, Turnschuhe an den Füßen. Ich schätze sie auf Anfang 20. Kurz prüfe ich mein Gewissen: Ist es verantwortbar, in meinem Zustand fremde Menschen zu transportieren? Natürlich nicht, also halte ich an.
Sie heißt Silke, sagt sie, und sie hat wirklich keine fester umrissene Idee, wohin in Deutschland genau sie will. Sie wohnt in Heilbronn, aber dahin will sie noch nicht zurück. Sie ist 21 Jahre alt, und sie lässt sich treiben, sie war drei Tage in Amsterdam, vorher in Brüssel und in Antwerpen und in Montpellier und vorher in Spanien unterwegs. Aber jetzt will sie
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