Lazyboy
Füßen dichtes, nasses Gras, in der Ferne der Waldrand. Soweit ich sehen kann, gibt es kein Zeichen der Anwesenheit von Menschen, kein Merkmal von Zivilisation um mich herum. Bis zum Horizont nur die Natur, ich und diese Holzhütte. Gerade wollte ich in einem Café in meiner Nachbarschaft die Toilette betreten. Glücklicherweise hatte ich zumindest meine Jacke anbehalten und trage meine Papiere und mein Geld bei mir, auch wenn das Täschchen mit der Grundausrüstung sinnigerweise zu Hause in der Küche liegt. Ich habe auch keine Ahnung, wo ich sein könnte, diese Landschaft könnte quasi überall sein, in jedem Land, Nadelbäume am Waldrand, ein paar Laubbäume, deren Kronen aus dem Wald ragen, aber es grenzt mir die Zugehörigkeit in keinster Weise ein.
Ich habe zwei Möglichkeiten, denke ich. Ich kann hier stehen bleiben und darauf warten, dass der Besitzer oder Nutzer dieser Hütte sich blicken lässt. Aber wann wird das sein? Oder ich setze mich in Bewegung und hoffe, dass ich nicht in wirklicher Wildnis, in den Weiten Sibiriens oder dergleichen, gelandet bin. Immerhin gibt es einen ausgetretenen Pfad, der vom Waldrand über die Wiese bis zur Hütte führt. Vermutlich ist es das Klügste, diesem Pfad zu folgen.
Ich erreiche den Waldrand, der Pfad ist auch im Schutz der Bäume noch gut zu erkennen und frei von Bewuchs, was ich als gutes Zeichen werte. Anscheinend wird der Pfad ausreichend oft genutzt. Links und rechts von mir wogt ein dichtes, von Büschen durchsetztes Meer aus Farnen. Ich passiere einen Busch mit großen, doldenartigen Früchten dicht am Pfad. Für diese Früchte fehlt mir jeglicher Begriff oder Name. Da sie essbar aussehen und ich nicht weiß, was noch auf mich wartet, pflücke ich drei davon und wickele sie in meine Jeansjacke, als Notration. Es ist schwül, stickig zwischen den Pflanzen, die Luft ist schwer zu atmen, als würde man ein dickflüssiges Gas einatmen. Der Schweiß läuft mir am Oberkörper hinunter, mein Hemd ist nass. Ein pflaumenkerngroßes Insekt, das mich entfernt an eine Fliege erinnert, umschwirrt mich. Ich bekomme Durst.
Vielleicht sollte ich glücklich sein, dass ich nicht durch die Tür einer Antarktisforschungsstation getreten bin, dann wäre ich geliefert mit meinem Oberhemd.
Der Pfad gabelt sich, ich nehme ohne lange nachzudenken die linke Abzweigung, weil links das Herz sitzt und weil Frodo im Herrn der Ringe das in so einem Fall auch gemacht hätte. Plötzlich stehe ich einem Tier auf dem Pfad gegenüber. Es steht dort mit leicht gespreizten Beinen und irgendwie provozierend mitten auf dem Weg, als hätte es auf mich gewartet. Es blickt mich aus leuchtend grünen Augen an, eine sehr magere Art von Schwein, kniehoch, mit gelbem, strähnigem Fell und gelben Hauern, die ihm aus dem Unterkiefer ragen. Ich bleibe stehen und ziehe mir die Sonnenbrille auf die Nase, wie ein Ritter, der sein Visier herunterklappt.
»Hallo«, sage ich, »Schwein. Würdest du mich bitte vorbeilassen?«
Das Schwein scheint zu überlegen, jedenfalls bewegt es sich nicht. Nach einer Weile, in der mir alle Flüssigkeit der Erde in die Schuhe gelaufen ist, erklingt aus dem Wald ein Schrei, eine melancholische Stimme, ein melodischer Ruf, der sowohl tierischer als auch menschlicher Natur sein kann. Mir zieht sich die Rückenhaut zusammen. Das Wesen auf dem Weg wendet den Schädel, dann schlägt es sich ins Unterholz, um der Stimme zu folgen. Ich fasse einen Farn rechts von mir an. Ich ergreife den Stängel, der mir nicht wirklich Halt gibt.
Ich folge dem Pfad ohne eine weitere Begegnung durch das Unterholz hügelauf und hügelab. Ich bekomme Durst. Innerlich bin ich trockengelegt. Ich fühle mich wie ein Sandpapiergeschäft, vollgestopft bis unter das Dach mit Regalen voll von Sandpapieren in den unterschiedlichsten Ausführungen und Größen.
Nach gefühlten vier Stunden treffe ich auf einen Bach. Ich hatte es schon eine Weile gluckern hören. Ein dunkel glitzerndes Band, das das infernalische Grün durchschneidet. Natürlich weiß ich nicht, ob das Wasser belastet ist, ob nicht 200 Meter weiter um die Ecke eine Phosphorfabrik ihre Abwässer in den Bach leitet oder virenverseuchte Halbaffen in das Wasser pinkeln, ob ich sterbe, wenn ich davon trinke. Allerdings fühle ich auch, dass ich sterbe, wenn ich nicht davon trinke. Eigentlich ist es schon keine Entscheidung mehr. Ich lasse mich ins Wasser fallen und trinke, alles an mir, was Öffnung ist, nimmt Wasser in sich auf. Anschließend
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