Lazyboy
sitze ich in der Böschung des Baches, die Füße mit den Sandalen im Wasser, und höre den Geräuschen um mich herum zu, ein Rauschen und Rascheln, Gesang von Vögeln, Stimmen, die ich zum ersten Mal in meinem Leben höre, das Knacken von Holz und das Schnaufen eines großen Säugers, der am Wasser sitzt. Ich überlege, was sinnvoller ist. Dem Bachlauf zu folgen, um ausreichend Trinkwasser zur Verfügung zu haben, oder weiter dem Pfad, in der Hoffnung, dass er mich in absehbarer Zeit zu Menschen führt. Mein Telefon klingelt. Das Geräusch erschreckt mich so, dass meine Füße im Wasser des Baches herumzappeln. Ich befinde mich im Arsch von Nirgendwo, und trotzdem hat mein Mobiltelefon Empfang. Es ist so absurd, dass ich grinsend vor mich hin schnaube.
»Ja?«, frage ich.
»Wo steckst du?«, fragt Daphne.
»Keine Ahnung«, sage ich, »in der Scheiße. Wo steckst du denn?«
»Ebenfalls«, sagt sie.
»Das heißt?«
»Ich wurde entführt.«
»Haha«, sage ich.
Mit gepresster Stimme sagt sie: »Ehrlich!«
Im Hintergrund höre ich eine männliche Stimme in rüdem Ton etwas sagen.
»Daphne?«, frage ich.
»Ich wurde entführt, Lazyboy, bitte«, sagt sie mit flehender Stimme, der Stimme eines kleinen Mädchens. »Ich brauche deine Hilfe.«
»Wo bist du?«
»Ich habe keine Ahnung, weil ich etwas Schwarzes auf dem Kopf habe.«
»Und dann kannst du telefonieren?«
»Lazyboy, ich meine es ernst! Du musst etwas unternehmen, ich ...«
Dann ist das Telefonat unterbrochen.
Ich sitze da in irgendeinem Nirgendwo mit meinem Telefon in der ausgestreckten Rechten und meinen Füßen im Wasser. Ich frage mich, was wahr ist. Ich brauche Hilfe.
Mein Handy ist ein Gerät von 2001, fast so groß wie ein Ziegelstein. Man kann damit weder ins Internet gehen noch hat es ein eingebautes Navigationsgerät. Toll, denke ich. Jemand braucht meine Hilfe, und ich brauche ganz dringend ebenfalls irgendjemandes Hilfe. Ich finde es überhaupt erstaunlich, dass ich hier Telefonempfang habe. Vermutlich sitze ich 20 Meter von einem hinter Büschen verborgenen Sendemast entfernt, und einen halben Kilometer weiter befindet sich eine Ikea-Filiale, ich bräuchte bloß rüberzugehen, um mich im Bällebad zu erfrischen und anschließend schwedische Hackhappen im Instantrestaurant zu verspeisen. Wahrscheinlich laufe ich schon seit Stunden scharf parallel zur Zivilisationsgrenze.
Ich wähle die internationale Vorwahl von Deutschland und dann halb automatisch die 110, die Polizei, dein Freund und Helfer. Komisch, dass mir in diesem Moment nur das einfällt, darauf hätte ich früher keine zwei Pfennig gewettet. Ich rufe die Polizei an, am Ufer eines Bachs im Nirgendwo sitzend.
Erst knackt es nur, dann ist das vertraute Tuten zu hören. Schließlich meldet sich eine männliche Stimme auf Deutsch, die mir mitteilt, dass ich mit der Polizei spreche.
Ich sage: »Guten Tag, ich habe ein etwas ungewöhnliches Anliegen, fürchte ich, es ist etwas komplex, und ich möchte Sie schon einmal bitten, nicht aufzulegen, auch wenn es seltsam klingt und Sie den Eindruck erhalten könnten, es würde sich um eine Verarsche handeln, das ist definitiv nicht der Fall.«
»Och«, sagt die Stimme, die erstaunlich nah und gegenwärtig klingt, beruhigend und surreal gleichzeitig angesichts meiner Situation. »Wissen Sie, wir sind hier einiges gewohnt. Dann schießen Sie mal los.«
»Ich möchte eine Entführung melden.«
»Wer oder was wurde entführt?«
»Ein Mädchen namens Daphne, ich weiß den Nachnamen nicht, sie ist 13 und lebt auf der Schwäbischen Alb.« Mir fällt auf, dass man mich für den Entführer halten könnte.
»Ich weiß nicht, wer sie entführt hat«, sage ich rasch, »sie rief mich gerade an und sagte, dass sie meine Hilfe brauche, sie werde entführt, und das sei kein Spaß.«
»Okay«, sagt die Stimme, »wer ruft denn eigentlich an?«
»Mein Name ist Lazyboy, kein Scheiß, es handelt sich dabei nicht um einen Decknamen, und ich bin nicht der Entführer, falls Sie das jetzt glauben.«
»Und wo befinden Sie sich gerade, Herr Lazyboy?«
»Das ist schwer zu sagen, und das ist mein zweites Anliegen. Vielleicht verfügen Sie über die entsprechende Technik, anhand der Strahlung meines Handys feststellen zu lassen, wo ich mich befinde. Sie müssen mich unbedingt orten, denn ich befinde mich an einem Ort, den ich gar nicht kenne, ich bin völlig verloren gegangen hier und auch nicht entsprechend ausgerüstet, ich habe große Angst, dass ich hier
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