Lazyboy
gesprochen habe. Ich habe mich vor zwei Tagen kurz mit einem Saubermachroboter in einem öffentlichen Gebäude verständigt, aber das zählt wohl kaum als Gespräch. Japanisch spreche und verstehe ich noch immer nicht. Wenn ich nachts in meiner Röhre liege, denke ich zunehmend an die einfache, aber sehr schöne Japanerin, die mir vor einiger Zeit am Fluss begegnet ist, wie sie mich mit in ihre praktische Einzimmerwohnung nimmt, wo wir gemeinsam Bier trinken und ohne Worte erst den Sonnenuntergang durch das Fenster im 18. Stockwerk und anschließend die Übertragung eines Baseballspiels im Fernsehen angucken. Ich beginne mich zu langweilen. Ich beginne, meine Heimat zu vermissen. Plötzlich denke ich wieder an Monika, an verpasste Chancen. Ich beginne verzweifelt, Türen zu probieren. Leider gibt es in Japan überproportional viele Schiebetüren, ich frage mich, ob es daran liegt, dass mich noch keine verschluckt hat. Als ich kurz davor bin, die Hoffnung aufzugeben, ich lebe mittlerweile unter einer Brücke, ich spreche ein passables Hobo-Japanisch, ich habe unter den anderen Obdachlosen durchaus so etwas wie Freunde gefunden, wandelt sich plötzlich die Tür einer öffentlichen Toilette, in der ich mich wasche, für deren Benutzung man sieben Yen bezahlen muss und die sich selbsttätig reinigt, zu der ersehnten Passage.
Es dauert eine Weile, bis ich mich orientiere. Dann aber wächst in mir die Sicherheit, durch die Tür eines Austerngeschäfts am Bassin von Arcachon getreten zu sein, wie ich es kennenlernte, als ich als Schüler einmal sechs Wochen in Südfrankreich verbrachte. Die ersten Nächte schlafe ich in den Dünen, die das Bassin vom Ozean trennen, berauscht vom Duft der Pinien, dann breche ich in ein leer stehendes Ferienhaus ein, nachdem ich es tagelang observierte. Das Haus gehört einer deutschen Familie, das verraten mir die Küchengeräte von Miele und eine ausgelesene Nummer des Stern auf dem Kaminsims. Wochenlang ernähre ich mich von Fischkonserven. Ich traue mich nicht aus dem Haus, obwohl mein Französisch nicht schlecht ist.
Ich sitze am Küchentisch und mir dämmert, dass die Vorstellung gut ist. Dass die Wirklichkeit aber hart werden könnte, wenn man zu ewigen Ferien, zu ununterbrochener Reise gezwungen ist, ohne Einfluss auf die Auswahl der Ziele und die Länge des Aufenthalts. Man benötigt mehr Gleichmut, als ich mein Eigen nenne. Dazu bin ich zu schnell zu frustrieren. Was soll ich in Kairo, nachdem ich mir die Pyramiden und den restlichen Scheiß angeguckt habe, wenn ich zuvor noch nie nach Ägypten hatte reisen wollen? Und was mache ich, wenn mich die nächste Tür nach Paderborn ausspuckt? Oder nach Bielefeld? Ich kann mir bessere Schauplätze für ein erfülltes Leben vorstellen als Orte, von denen Menschen verzweifelt wegziehen im Sinne einer Befreiung, eines Schrittes zu sich selbst.
Ich klopfe gegen das Blech meiner Dose, der treuen Gefährtin. Die Dose ist leer. Es kann nicht schaden, eine Grundausrüstung zu besitzen, für den Fall der Fälle, wenn ich jetzt losgehe, um mir ein weiteres Bier zu holen.
Oder zwei.
Ich packe mir ein Täschchen und mache mich entschlossen auf den Weg. Den Schlüssel zu meiner Wohnungstür drehe ich zweimal um. Als ich auf der Straße bin, klingelt mein Handy. Auf dem Display steht unbekannter Anrufer . Aus einer Laune heraus nehme ich das Gespräch an.
»Hallo?«, frage ich.
»Daphne?«, fragt eine männliche Stimme.
»Äh«, mache ich. Ich glaube kaum, dass unsere Stimmen für irgendein Ohr auch nur im Entferntesten ähnlich klingen können.
»Wer spricht da?«, sage ich.
»Ist das Mädchen bei Ihnen?«, fragt die Stimme.
»Sagen Sie mir Ihren Namen«, sage ich.
»Wir müssen uns treffen«, sagt die Stimme, aber dann wird das Gespräch unterbrochen.
20
Ich trage ein weißes Oberhemd, Jeans, in der Hand halte ich die Jeansjacke. Meine Füße stecken in schwarzen, italienischen, einigermaßen eleganten Ledersandalen. Meine Sonnenbrille ist ins Haar gesteckt.
Ich lasse den Blick schweifen, bis zum Horizont bewaldete Hügel, in der Ferne blau, hie und da ragen kahle Hügelkuppen wie Glatzköpfe aus der Walddecke. Felsformation, wo sich die Hügel in die Wolken schmiegen.
Es weht ein lauer Wind. Es ist sehr still um mich herum.
Ich stehe vor einer mit Teerpappe bespannten Holzhütte, aus deren Tür ich getreten bin. Ich habe versucht, wieder ins Innere der Hütte hineinzukommen, aber jetzt ist sie verschlossen, sonderbar. Zu meinen
Weitere Kostenlose Bücher