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Lazyboy

Lazyboy

Titel: Lazyboy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Weins
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physisch gesehen, aber trotzdem sind wir vollkommen andere Menschen. Ich kann nicht behaupten, dass ich noch der Lehrer wäre, der damals in der Vorzeit selbst mit dem Dolch in der Hand und Mordlust im Blick herumgelaufen sein soll. Ich war damals der Lehrer, und später wurde ich der Lehrer, und wieder später der Lehrer, und dann erst der Lehrer, um anschließend der Lehrer zu werden. Und heute sitze ich vor Ihnen, und ich bin der Lehrer und könnte mich im Grunde an nichts erinnern, wenn es nicht die Aufzeichnungen und die Prophezeiung gäbe, obwohl ich alles noch weiß und nichts vergessen habe. Es ist paradox, es ist etwas kompliziert, vielleicht zu kompliziert für schlichter gestrickte Gemüter, wir sind noch da, und wir sind wir selbst und doch die anderen, die Nachfolger, zu viel Zeit ist durch uns hindurchgeweht. Wir sind viele, viele Generationen geworden. Wir sind wir selbst und trotzdem ganz andere. Und wenn Sie das nicht verstehen können oder wollen, dann tut es mir leid, dann sind Sie auf jeden Fall definitiv nicht der Mittler.«
    Der Lehrer räuspert sich und ist sichtlich bemüht, seinen Unmut unter Kontrolle zu bekommen. Ich schlucke. Er wendet sich an Daniela. »Kann ich bitte ein Glas Wasser bekommen? Mir scheint, ich habe eine ganze Weile, vielleicht unnütz, gesprochen.«
    Sie steht auf und geht folgsam in eine Ecke des Klassenzimmers hinüber, in der ein kleines Waschbecken hängt. Mit einem Zahnputzbecher voll Wasser kehrt sie an den Gruppentisch zurück. Ich muss lächeln. Das hier ist vollkommen irreal. Ein Märchen. Der Lehrer nippt einen Vogelschluck von seinem Tuschwasser.
    »Ich möchte gerne diese Wand sehen«, sage ich nach einer Weile.
    Denn die Sache mit der Tür in der Wand finde ich schon interessant. Wenn es Tür und Wand wirklich geben sollte. Die kann ich ja noch mitnehmen, bevor ich mich heimlich zurück zum Schrank schleiche. Was habe ich schon groß zu verlieren? Vielleicht hat Daphne das gemeint, als sie mich in diese Stadt schickte. Überhaupt Daphne. Warum traue ich der eigentlich? Vielleicht haben die sich das Ganze auch ausgedacht, Daphne, Monika und Frau Merbold, eine Frauenverschwörung, um mich zu bestrafen oder zu erziehen. Wie in der Truman-Show. Vielleicht werde ich die ganze Zeit gefilmt. Vielleicht haben sie sorgfältig die Schauspieler gecastet. Ich lächele unverbindlich, aber siegesgewiss einmal in die Runde, was mir irritierte Blicke vom Lehrer und Daniela einbringt.
    »Natürlich möchten Sie die Tür sehen«, sagt Daniela. »Sie sind der Mittler, bestimmt, ich weiß es. Sie müssen es einfach sein.«
    »Mich sollte es wundern«, sagt der Lehrer. »Ich habe mir den Mittler immer anders vorgestellt.«
    Er schaut mich mit erheblicher Geringschätzung an. »Erzählen Sie mal ein bisschen von sich, bevor wir zur Wand gehen, was ist mit Ihnen?«
    »Ach, na ja«, sage ich bescheiden. »Da gibt es eigentlich nicht viel zu erzählen. Ich war mal DJ, weil ich mich lange für Musik interessierte. Jetzt bin ich sozusagen hauptberuflich Journalist. Ich schreibe frei für ein, zwei Magazine, Plattenkritiken, aber auch Reportagen. Diese ganzen Lifestylegeschichten. Ja, und ich kann auf eine ganz bestimmte Art durch Türen gehen, die außer mir vermutlich nicht viele Menschen beherrschen, eigentlich fällt mir nur eine Person ein, bei der es ähnlich ist. Ich sollte bei Gelegenheit übrigens auch mal zurück in meine Welt, ich habe eine gewisse Verantwortung für bestimmte Personen übernommen, die das nicht so witzig finden könnten, wenn ich mich superlange hier bei Ihnen verlustiere.«
    Daniela sieht irgendwie irritiert aus. Der Lehrer lässt sich nichts anmerken.
    »Was ist das für eine Welt, aus der Sie stammen?«
    »Ach«, sage ich. »In meiner Stadt werden jedenfalls Kinder geboren, wenn auch nicht mehr so viele wie früher. Das ist in der Tat auch bei uns ein Problem, sagt man zumindest. Mir ist es eigentlich egal. Es hat etwas mit der Rente zu tun und wer irgendwann einmal die Lasten des Sozialsystems tragen soll und so weiter. Aber da ich eh nicht beabsichtige, Kinder in die Welt zu setzen, ist es mir eigentlich vollkommen gleichgültig, wer für mich den Rücken krumm macht, wenn man mir die Bettpfanne unterschiebt. Ich gehe eh davon aus, dass ich dann in seliger Demenz vor mich hin dämmere, so viele Drogen, wie ich in mich hineingestopft habe, das ist dann wohl der Preis. Was war noch mal die Frage? Ach so, ja, meine Welt kann man verlassen, Autobahn,

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