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Lazyboy

Lazyboy

Titel: Lazyboy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Weins
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erschüttern oder zu zerstören, so wurde sie gebaut, so solide ist sie damals angelegt worden. Man kann so tief graben, wie man will: Immer stößt man auf die Wand. Man kann auf die höchste Leiter steigen und noch höher, nie überwindet man die Wand oder erhascht einen Blick auf die andere Seite. Man kann so weit man will in die eine oder andere Richtung an der Wand entlangwandern, niemals verliert man seinen Begleiter, die Wand. Dass dort drüben immer noch Beeker leben, Beeker wie wir, wenn auch die der anderen Seite, schließen wir daraus, dass wir noch hier sind. Wenn wir noch da sind, müssen auch die noch da sein. Können Sie mir so weit folgen?«
    Ich nicke, mich in seinen ernsten Augen spiegelnd, dabei ist es eine glatte Lüge, denn ich verstehe rein gar nichts. Nur das mit der Teilung kommt mir bekannt vor.
    »Vielleicht interessiert es Sie, warum die Wand errichtet wurde?«
    Ich schüttele versehentlich mit offenem Mund den Kopf, aber er erzählt trotzdem weiter.
    »Es gab einen Krieg. Beeker gegen Beeker, die eine gegen die andere Seite. Der Kampf zog sich von Gasse zu Gasse und von Haus zu Haus. Neffe gegen Onkel. Schwager gegen Schwager. Freund gegen Freund. Es ging um die Ufer des Sees und darum, wer die Wasser für sich nutzen durfte. Die Bewohner der anderen Seite Beeker wie wir, aber während hier die armen Menschen in einfachsten Verhältnissen hausten, die bescheidensten Beeker, die man sich nur vorstellen kann, protzten sie drüben mit prächtigen Villen, lebten die von der anderen Seite von jeher verschwenderisch und im Überfluss. Und sie beanspruchten den See für sich, mit ihren goldlackierten Kähnen zogen sie schwere Schleppnetze durch die Fluten und verwehrten den Unseren den Zugang zur Beek.«
    »Die Beek?«, frage ich.
    »Die Beek, der Fluss. Durch das Zentrum der Stadt fließt ein Fluss, die Beek. Ein Flüsslein. Ein Bach eigentlich. Er kommt aus der Einöde und fließt bis zum Zentrum der Stadt, dort wird er zum Beeksee. Zum See gestaut wurde der Bach einst durch einen eigennützigen Müller, der die Kraft der Beek für seine Mühle nutzen wollte, in den alten Tagen schon, lange vor dem Bau der Wand. Er staute die Beek und erschuf so den See und gab der Spaltung der Stadt in das eine und das andere Ufer landschaftliche Gestalt. Und mitten durch den See führt heuer die Wand. Sie können im See so tief tauchen, wie Ihr Atem Sie tauchen lässt, stets erreichen Sie mit dem Grund die Wand. Es gibt in dem ganzen imposanten Bauwerk nur einen einzigen winzigen Durchlass für das viele Wasser, aber der ist vergittert und für den Menschenkörper ohnehin viel zu klein.«
    Er guckt mich fragend an, ich nicke, alles ja ganz schön so weit, schöne Geschichte.
    »Als der Krieg in seinem Wüten nicht zu enden wusste und die Zahl der Toten die Zahl der Lebenden zu übersteigen drohte, beschlossen die Beeker, Beek von Beek zu trennen und eine Wand zu errichten, aus einem Schicksal zwei zu machen, auf dass jede Hälfte der Stadt ihren ganz eigenen Frieden finde. Der Bau der Wand zog sich lange hin, und während an einem Ort die von der einen und die von der anderen Seite gemeinsam Stein auf Stein schichteten, gingen anderorts die Kämpfe aus Tradition und Gewohnheit weiter. Doch schließlich war es so weit. Die Wand war mitten durch den Beeksee errichtet, und in der Mitte des Sees auf der kleinen Insel hatte man eine Tür in die Wand gebaut. Die Tür von der einen auf die andere Seite oder umgekehrt. Die einzige Verbindung von einer Hälfte der Stadt zur anderen.«
    Der Lehrer schaut mich eindringlich an, und mir wird deutlich, dass jetzt ich ins Spiel komme, der Türenexperte. Das ist mein Stichwort. Ich bemühe mich um ein wacheres Aussehen.
    »An jenem besonderen Tag hatte sich ganz Beek auf der Insel zu beiden Seiten der Wand versammelt, um voneinander Abschied zu nehmen. Mit gemischten Gefühlen, wie man sich denken kann. Jede Seite erhielt einen bleiernen Schlüssel, den der jeweilige Bürgermeister aufzubewahren hatte. Man reichte sich ein letztes Mal die Hände und vereinbarte, dass genau in einem Jahr, heute nennen wir diesen Tag das Fest des Mittlers , die Tür mittels der Schlüssel geöffnet werden sollte und die Bürgermeister jeweils den anderen Teil der Stadt besuchen. Dann wurde die Tür für ein Jahr verschlossen.«
    Daniela, die still und gebannt neben dem Lehrer gesessen hat, erhebt sich und geht ein paar Schritte zu einem der Fenster hinüber. Dabei reibt sie sich die linke

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