Lazyboy
Landstraße, Bus, Bahn, Flugzeug. Ich habe sie allerdings durch eine Tür verlassen, was mich ohne Frage in der Tat zu einem für Sie nicht uninteressanten Mann machen dürfte.«
Ich fühle, dass meine Worte ein besonderes Gewicht besitzen, ein goldenes Gewicht. Welch schönes Gefühl. Die müssen mich hier einfach erst nehmen. Die können gar nicht anders. Im Club der Verrückten ist der Verrückteste König. Ich fühle, wie mich etwas von innen sanft auffüllt, als wäre ich der sich füllende Teil einer Sanduhr, die zum ersten Mal umgedreht wurde. Es rieselt in mich hinein, Eitelkeit, Bedeutung, Größe. Herrlich.
»Witzig«, sage ich, »in dem Land, aus dem ich stamme, Sie vermutlich auch, schließlich sprechen wir dieselbe Sprache, aber egal, gibt es eine Stadt, die ebenfalls lange in zwei Teile getrennt war, einen Ost- und einen Westteil, auch durch ein Bauwerk, allerdings sagen wir Mauer.«
Ich sehe die beiden erwartungsvoll an, sie betrachten mich angespannt, es zuckt kein Erkennen durch ihre Gesichter. »Berlin«, sage ich. »Schon mal gehört, Berlin, Berliner Mauer?«
Die beiden schütteln die Köpfe.
»Und in der Stadt, aus der ich stamme, gibt es jedes Jahr ein großes Schachturnier, in dem Schülerinnen und Schüler aus dem westlichen Teil der Stadt, die übrigens durch einen See in der Mitte, von einem Bäcker aufgestaut, in zwei antagonistische Ufer geteilt wird, gegen solche aus dem östlichen Teil antreten, linkes gegen rechtes Alsterufer? Schon mal gehört?«
Die beiden sehen etwas ratlos aus.
Mann, Mann, Mann, denke ich. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich glatt davon ausgehen, dass ich mir das hier ausgedacht habe. Wo soll das noch hinführen?
Einer Eingebung folgend greife ich in meine Hosentasche, in der sich mein Mobiltelefon befindet. Ich habe keinen Empfang.
»Sollen wir uns diese Tür mal anschauen?«, sage ich.
3
Ich lege meine Hand auf die Wand. Als könnte ich dort etwas fließen oder pulsieren spüren. Große Show. Ich bin der Mittler, der Schamane der Wand. Trüge ich einen weißen Kittel, ich würde mein Stethoskop jetzt auf die Oberfläche pressen und lauschen. Und es wäre, als würde die Wand zu mir sprechen, zu mir allein. Leider aber höre ich gar nichts, und ich spüre auch nichts, alles, was ich spüre, ist Stein. Wir sind durch die Gassen der Stadt gegangen. Die Leute haben mich mit stillen, runden Augen angesehen. Immer mehr haben sich unserer kleinen Prozession angeschlossen. Zuletzt sind wir durch einen Park spaziert, der bis an die Wand reicht. Etwas weiter in der Ferne schillert der Beeksee. Jetzt steht sie grau verputzt vor mir. Wenn ich den Kopf in den Nacken lege, sehe ich darüber den blauen Himmel. So hoch sieht sie eigentlich gar nicht aus. Ich stemme die Hände in die Hüften. Schwierig, die Höhe zu schätzen. 3 Meter 80? 8 Meter? 6 Meter? Eigentlich bin ich sogar ein wenig enttäuscht, wenn ich ehrlich bin. Ich habe sie mir imposanter vorgestellt. Das ultimative Weltwunder. Der große Bruder der Chinesischen Mauer, den sie immer dann holt, wenn sie von anderen Bauwerken in die Enge getrieben wird. Man steht davor und schwankt in der brausenden Energie, die von den gigantischen Quadern ausgeht. In alle Richtungen nichts als das atemberaubende Monument. Tja. Hier ist bloß alles nett verspachtelt und sieht nach Heimwerkermarkt aus, alles Obi und so weiter, Biber mit Werkzeug in der Hand. Es sieht so aus, als könnte man mit den richtigen Stelzen drüberspazieren.
»Kann ich bitte die Tür sehen«, sage ich.
»Natürlich«, sagt der Lehrer, und es gefällt mir wirklich, dieses Expertengefühl.
Am Ufer des Beeksees bleiben wir stehen. Ich sehe einem Schwanenpaar zu, das auf der teilweise zugefrorenen Oberfläche steht. Das Tageslicht gleißt über die weiße Fläche in meine Augen. Am Ufer entlang erstreckt sich eine Wiese, auf der sich einige dick eingemummelte Bewohner versammelt haben und scheu herüberblicken, dahinter der rote Backstein, das Dächergewimmel. Es gibt eine hübsche, schmal geschwungene Holzbrücke, die über den See zur Insel führt. Die Insel schmiegt sich an die Wand. Auf der Insel nichts als Gras und Wand und die Tür.
Sie ist kleiner, als ich gedacht habe. Als sei sie von Zwergenmeistern gefertigt. Ich werde den Kopf einziehen müssen, wenn ich hindurchsteige. Eine schöne, alte Tür, der Portaxmann hätte seine helle Freude an ihr.
Der Lehrer, Daniela und ich schreiten bedeutungsvoll und ernst über die Brücke.
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