Lazyboy
Sie liegt mir, diese Rolle. Das Würdevolle steht mir. Ich hätte Schauspieler werden sollen. Die Klinke glänzt golden, sie lächelt mich an, sie flüstert mit Nachdruck: Drück mich, tu es.
Eine Tür, was soll schon sein? Wovor soll ich Angst haben? Davor, dass ich irgendwo anders zu mir komme, dass ich verschluckt werde? Haha, meine leichteste Übung.
»Ich gehe dann mal«, sage ich.
»Nein, nein.« Der Lehrer legt mir die Hand auf den Unterarm.
»In zwei Tagen erst ist das Fest des Mittlers, so lange müssen wir unbedingt warten. Die Tradition will es so.«
»Ach Quatsch«, sage ich.
»Außerdem müssen Sie den Bürgermeister kennenlernen«, ergänzt Daniela.
Ich richte mich wieder zu voller Größe auf. Ich winke den Kindern zu, die am Fuß der Brücke stehen. Ich mag das. Ich muss an diesen Typen denken, der in Amerika als Einziger die in Brand geratenen Bohrinseln und Ölquellen löschen kann. Ein Popstar des Ingenieurwesens, genau wie ich. Warum hat man nie Autogrammkarten dabei, wenn man sie mal braucht?
»Hören Sie«, sage ich leise zu Daniela, als wir uns im Pulk Richtung Rathaus bewegen. »Ich glaube nicht, dass ich noch sehr viel länger hierbleiben kann. Können wir das nicht irgendwie abkürzen? Können Sie dieses Fest nicht ausnahmsweise vorverlegen? Ich finde schon, dass man sich auch ein bisschen nach seinen Gästen richten sollte.«
Sie schaut mir ausdrucksarm ins Gesicht.
»Ich muss los«, sage ich. »Ich habe da drüben Sachen zu erledigen. Ich bin ein gefragter Mann.«
»Bitte bleiben Sie«, sagt Daniela. »Es ist so wichtig für uns. Bitte nehmen Sie uns diese Chance nicht.« Sie legt mir die Hand auf den Unterarm. Sie blickt mir mit großen Augen direkt bis ins Herz oder tiefer. »Bitte bleiben Sie, für mich.«
»Hm«, brumme ich. Ich lasse mich von weiblichen Personen immer schnell überreden, wenn sie gut genug aussehen.
Der Bürgermeister ist ein kleiner Mann, der zur Tür passt. Als sei sie eigentlich für ihn gemacht. Er steht in einem schwarzen Anzug und mit goldener Amtskette vor dem Rathaus. Das Rathaus ist ein nüchterner Funktionsbau, große Glasflächen, viel Beton. Der Bürgermeister hat blonde, schulterlange Haare mit einer Fönwelle, die ihm verwegen ins Gesicht hängt. Er sagt kein Wort, er lächelt bloß sehr beredt und ironisch und packt zum Ausgleich für das Fehlen von Worten meine Hand mit beiden Händen und schüttelt sie kräftig.
Neben ihm steht eine viel zu blonde Frau mit zurückgestecktem Haar in einem grauen, körperbetonenden Kostüm. Sie mag Mitte 20 sein, mit zu rot geschminkten Lippen, ein Klemmbrett auf dem Unterarm. Sie besitzt einen enorm großen Busen. Die Frau überragt den Bürgermeister um einiges. Mir blinzelt sie anzüglich zu.
Ich werde in einen Raum im Rathaus geführt, in dem einige schwere Ledersessel und ein voluminöses Ledersofa stehen. Die blonde Frau bugsiert mich auf das Sofa und nimmt sehr dicht neben mir Platz. Der Bürgermeister setzt sich in einen Sessel gegenüber, Daniela und der Lehrer werden ebenfalls in Sessel gesetzt. Die Blonde flüstert in mein Ohr, dass zu meinen Ehren ein Bankett abgehalten werde. Momentan liefen die Vorbereitungen auf Hochtouren, die Speisen würden vorbereitet, die Gäste herbeigeschafft. Das Ganze sei ja wahnsinnig spontan. Bis zur Erledigung der Vorbereitungen könnten wir uns hier ausgiebig austauschen und gegenseitig kennenlernen.
Der Bürgermeister lächelt, sagt aber nichts.
Ich seufze.
Wir sitzen und schweigen. Mir gegenüber hängt ein großes Gemälde, das Beek vor dem Bau der Wand zeigt, nehme ich an. Der See scheint noch nicht aufgestaut. Einfach eine Kleinstadt mit Flüsschen. Die hässlichen Betonklötze scheint es auch damals schon gegeben zu haben. Eine Dreiviertelstunde sitzen wir so. Daniela rollt mit den Augen. Der Lehrer scheint eingeschlafen. Während des Banketts schweigt der Bürgermeister weiter beharrlich. Er lächelt die meiste Zeit ironisch in die Runde oder lässt seine Augenbrauen ausdrucksstark zucken und Ungesagtes artikulieren wie ein paar schwarze, auf Kommunikation gedrillte Raupen. Wir sitzen im Festsaal des Rathauses an einer langen Tafel. Auch hier moderne Nüchternheit, glatte Marmorwände, Kassettendecke. Ich lerne die Apothekerin und ihren Gatten kennen, den Schwimmlehrer, den Nachtwächter, den Polizisten samt Ehefrau sowie den Chorleiter, die Honoratioren des Ortes. Alle sind eifrig in Gespräche verwickelt, hin und wieder äugt man mich vergnügt an,
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