Lazyboy
hat. Feines blondes Haar vibriert im Wind, der über ihre Oberlippe streift. Ich räuspere mich.
Ich trete einen Schritt zurück, obwohl ich einen Schritt nach vorne machen möchte, die Tür öffnen, eintreten, die Treppe hinuntersteigen, die tief hineinführt in diesen anderen Menschen, in diese fremde Höhle von einem Menschen, um mich wieder irgendwo zu Hause zu fühlen. Es zuckt in ihrem Gesicht, ein Knäuel von Gefühlen, das weder ich noch sie zu fassen bekommen. Ich greife nach ihrer Hand, halte ihre Finger, die etwas feucht sind, warm und feucht und salzig, ihre kleinen, runden Fingerkuppen.
Ich räuspere mich erneut, ich frage: »Gibt es einen Mann in deinem Leben?«
Daniela seufzt. Sie zieht mich zum Sofa hinüber, wo wir nebeneinandersitzen. Unsere Knie berühren sich.
»Es gab einen.« Sie schaut mir von dicht unten in die Augen. »Er ist durch die Tür in der Wand gegangen.«
»Oh«, sage ich. »Das tut mir leid.« Sie lächelt schwach.
»Und bei dir?«
Ich weiß nicht, was ich sagen soll, was ich sagen will. »Nein, niemand«, sage ich dann. Ich wundere mich immer wieder. Ich weiß nicht, wie so etwas geschieht. Die Lust an der Lüge.
»Ich bin bloß etwas, ich weiß nicht, du erinnerst mich an jemanden.«
»Es ist okay«, sagt sie, »wir haben Zeit.«
»Ja«, nicke ich.
Dabei haben wir das vermutlich nicht. Ich wünsche mir sehr, in diesem Augenblick in ihr verloren zu gehen, mich aufzulösen und dabei anzukommen im schwarzen Nichts auf dem Grund der Dinge.
»Warum bist du zu mir gekommen, warum standest du plötzlich in meiner Wohnung?«
»Ich weiß es nicht«, flüstere ich, und das entspricht ausnahmsweise der Wahrheit. Wir sitzen da, ihre Hand in meiner, und irgendwo singt ein Vogel ein dümmliches Lied, das von Vermählung und Verschmelzung handelt, ein bohrendes Lied, ein dämlicher Singsang, der Vogel sitzt auf einem Ast in mir, der seitlich aus meinem Herzen ragt, das kann ich deutlich fühlen, und innerlich summe ich mit, ich lehne meinen Kopf gegen ihre Locken und habe gleichzeitig Angst, dass sie mithören kann, was in meinem Inneren vor sich geht.
Ich sage: »Vielleicht kann ich deinen Mann ja mitbringen, wenn ich durch die Tür in der Wand gegangen bin. Vielleicht kann ich ihn für dich aus dem Nebel fischen.«
»Ja, vielleicht«, sagt sie. »Das wäre schön. Vermutlich. Es ist schon so lange her.«
So sitzen wir da, bis es spät wird.
Später liege ich im von ihr gewaschenen Bettzeug auf dem Sofa. Ich sauge den fremden Waschmittelgeruch ein, und ich betrachte den Raum im Licht, das durch die Fenster ins Zimmer fällt. Ich beobachte schon seit einiger Zeit eine Vase, die auf einer Anrichte steht, den scharfen Schatten, den sie zeichnet, aber er bewegt sich nicht. Ich denke an Monika. Monika, Daphne, Frau Merbold. An Schlaf ist nicht zu denken. Leise lege ich die Decke beiseite und schlüpfe in meine Hose. Ich suche nach etwas Papier und einem Stift. Dann schreibe ich: Ich muss in meiner Welt ein paar Dinge ordnen. Ich werde wiederkommen, das verspreche ich. Zum Fest des Mittlers bin ich zurück.
Ich frage mich, warum ich mich verpflichtet fühle. Ich schulde ihr nichts, dieser Doppelgängerin, dieser Rätselwelt. Den Zettel lege ich trotzdem auf den Küchentisch. Dann schleiche ich vorsichtig die Treppe hinauf, versuche ein Knarren des Bodens zu verhindern. Daniela schläft tief, sie atmet gleichmäßig. Ich stehe da und betrachte ihr Gesicht im Halbdunkel, den geöffneten kleinen Mund, die hübsch aufgeworfene Oberlippe. Dann reiße ich mich los und öffne die Tür des Schranks, die leise quietschend nachgibt. Ich schiebe ihre Kleidung zur Seite, werfe noch einen Blick in den Raum. Es ist und bleibt albern, denke ich, ein erwachsener Mann, der in den Schrank steigt. Ich schließe die Tür hinter mir und taste ins Dunkle.
4
»Wie lange war ich weg?«
»Keine Ahnung«, sagt Daphne.
Sie erhebt sich von der weiß lackierten Kiste vor der Kellertür, auf der ich auch schon gewartet habe. Als ich aus der Tür getreten bin, war sie dabei, eine Kellerassel zu betrachten, die sich am Boden einer leeren Weinflasche befindet. »Noch nicht so lange«, sagt sie, »ich wollte gerade mal hochgehen aufs Klo, zwanzig Minuten vielleicht?«
»Echt?«, frage ich. »Komisch, kam mir länger vor.«
»Tja«, sagt sie, »so kann es gehen.«
»Schräg«, sage ich.
»Und, wie war’s?«
»Schräg. Diese Stadt da. Beek.«
»Ach, Beek heißt das da?«
»Ich denke, du bist da
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