Lazyboy
für die er nicht gemacht ist.
Und irgendwann erwache ich von etwas, einem leichten Druck, einem Körper auf meinem Körper, einer Hand auf meiner Schulter, und ich blicke mich um, mein Schwiegervater ist es, und ich stelle fest, dass ich die Geräusche aus dem Inneren entlassen habe, die besser ungehört geblieben wären, weil sie den grundsätzlichen Klang all dessen bedeuten, mit dem der Mensch alleine ist.
Die Reue setzt mit voller Wucht ein, als ich auf dem Stuhl im Krankenhausflur sitze. Ein grauer Stuhl. Sie lässt mich taumeln. Wieder beginnt das Fliegen. Was hätte ich alles anders machen sollen? Was hätte ich Monika geben müssen?
Ich erinnere mich, wie sie mich vor einiger Zeit gefragt hat, ob wir gemeinsam einen Tanzkurs absolvieren wollten, das sei bestimmt lustig, wir würden endlich wieder einmal etwas miteinander unternehmen, ein gemeinsames Projekt. Tanzkurs , hatte ich gesagt und dann bloß auf meine spezielle Art gelächelt.
Ich frage mich, was ist, wenn sie erwacht, wenn sie mich aus großen, runden Augen anblickt und als erste Frage fragt: Wo warst du, als ich den Tango mit dir tanzen wollte? Ich frage mich, was ist, wenn sie nicht mehr erwacht. Ich bin immer nur nicht da, nicht genug gewesen.
Ich weiß, dass es nicht um Tanzkurse geht.
Ich sitze zu Hause auf dem Fußboden hinter meinem Sofa, das ich von der Wand abgerückt habe. Eine Höhle. Es denkt, es kracht, rotiert, es pulst und wühlt in dem Kopf zwischen meinen Händen. Eine gemeinsame Wohnung mit Monika. Geordnete Berufe. Ein gemeinsamer Haushalt. Eine Verlobung. Eine Hochzeit. Eine Ehe. Ein gemeinsames Kind. Verantwortung. Ein gemeinsames Leben. Stattdessen: Turnschuhe und ein abgerücktes Sofa. Tiefgefrorene Pizzen. Bier im Kühlschrank. Und eine Filmdose, in der ein paar Pilze und ein paar Tabletten schlummern.
Das ist das eine und das ist das andere. Wo ist die Richtung? Habe ich einfach und immer in allem zu lange gebraucht?
Wir sitzen in einem Stationszimmer, der Arzt hinter dem Schreibtisch, Monikas Eltern und ich davor, halten uns fest an unseren Stühlen, diese Reise durchs All, ständig ist man am Schwanken. Der Arzt ist jünger als ich. Es kommt mir bloß folgerichtig vor. Selbst das Alter des Arztes ist ein Vorwurf. Siehst du, sagt es, wenn man nur richtig an das Leben herangeht, wenn man es ernst meint und ein wenig aufräumt, dann kann man es früh weit bringen, was heißt hier früh, zur rechten Zeit.
Der junge Arzt, der in der Tat sehr aufgeräumt wirkt, sagt:
Ich betrachte die Vorhänge hinter ihm, die zugezogenen Vorhänge, die das Zimmer in mildes grünes Licht tauchen, linderndes Licht, das uns über die Ringe unter den Augen streicht, die Tränen und die Müdigkeit mit sich nimmt und sie irgendwo in kleine beschriftete Kästlein legt, das sie aufhebt für uns, und irgendwann bekommen wir sie wieder.
Der Arzt sagt:
Er ist sehr groß, hochgewachsen, er hat sehr gepflegte, große, beeindruckende Zähne. Er trägt einen mittelblonden Scheitel, der ihm sanft beim Sprechen ins Gesicht wippt. Seine Augen blitzen milde. Der Arzt sagt, dass sich infolge des Unfalls ein Aneurysma gebildet habe, das jederzeit platzen könne. Schon jetzt seien wichtige Hirnzentren von der Versorgung abgeschnitten. Zurzeit hätten wir es mit einer Läsion im Bereich des Balkens zu tun, einer Blockade im Bereich jener Hirnregion also, die den Transfer von einer Hirnhälfte in die andere gewährleiste, die die Schnittstelle darstelle. Es scheine so, als drücke eine Blutblase auf die Nervenbahnen, als seien dadurch die Hemisphären voneinander getrennt, als arbeiteten sie momentan separat. Die Folgen eines einseitigen Übergewichts rechts- oder linkshemisphärischer Aufmerksamkeit seien auf Dauer nicht abzusehen. Es könne zu Persönlichkeitsveränderungen kommen, zum Split-Brain-Syndrom, zu schweren Konsequenzen für Bewusstsein und Aufmerksamkeit. Überhaupt seien Aneurysmata an den Hirnbasis-Gefäßen generell leider äußerst gefährlich. Sie könnten platzen und eine tödliche Hirnblutung verursachen. Man gehe davon aus, dass 60 bis 70 Prozent der Patienten an oder nach der Hirnblutung stürben. Man müsse mit neurologischen Ausfällen wie vollständiger Lähmung oder Halbseitenlähmung, mit Sprachverlust und Hirnschäden rechnen.
Und so weiter.
Ich höre Monikas Mutter scharf ausatmen. Wir sitzen wie Büßer vornübergebeugt auf unseren Stühlen, mit gefalteten Händen, sehen dem Arzt nicht mehr zu bei seinen Litaneien. Unsere
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