Lazyboy
sitze auf dem weißen Stuhl und lächele.
Und dann erzähle ich ihr alles. Ich erzähle ihr von Beek und Daphne und auch von Daniela. Ich erzähle ihr vom See und der Wand und der Tür in der Wand. Ich erzähle ihr vom Geteiltsein der Stadt und vom Lehrer und dem Bürgermeister. Ich erzähle von meiner Rolle als Mittler und wie es sich anfühlt, endlich einmal irgendwo gebraucht zu werden. Ich spreche von meinen Fehlern und dass ich mir niemals zu helfen weiß. Dass ich gut sein möchte und dass ich niemals verstehe, wie alles immer nur den Bach hinuntergeht.
Ich erzähle ihr von den Türen, die mich irgendwo hinführen, und von meiner Angst, dass ich verrückt sein und dass sie genau das von mir denken könnte.
Ich erzähle vom Schwimmen, dass ich immerzu schwimme, auch in diesem Augenblick, und dass ich froh bin, dass sie neben mir liegt und ich mich an ihr festhalten kann, damit ich nicht wegtreibe in endlose Weite. Und ich bitte sie, zurückzukommen und mich nicht alleine zu lassen in meinem Nest. Dass ich wüsste, dass ich noch ein nasses Gefieder hätte und noch ziemlich hässlich sei, dass mir noch Eierschalen auf den kleinen Stummelflügeln klebten, aber ich könnte mich befreien, und natürlich würde ich wachsen, das würde ich zu gerne, alleine schon für sie, aber sie solle zurückkommen, bitte, solle sich ins Blau eines riesigen, gestirnten Himmels schwingen und nach Hause finden, zu mir.
Ich erzähle ihr von den Frauen, mit denen ich sie betrogen habe. Ich erzähle von allen Frauen, mit denen ich geschlafen habe. Und ich habe nicht einmal die Hoffnung, dass es etwas bewirkt, dass es sie zurückbringt irgendwie. Aber ich muss ihr das alles sagen, ohne Hoffnung. Ich habe zu viele Filme gesehen und Bücher gelesen, in denen einer oder eine einsam an einem Bett sitzt und beichtet.
Dann lege ich mich vorsichtig neben sie auf das Bett, ich habe mir die Schuhe ausgezogen, und es ist noch etwas da von ihrem Geruch an ihrem Hals unter dem Kinn, meinem Zuhause, es ist noch nicht alles weggespritzt und weggeputzt vom Krankenhaus, und ich inhaliere diesen Duft wie meine Droge, die mich still und klein und leise macht.
Dann denke ich: Nicht mehr weiter davonlaufen. Hier bleiben. Meinen Platz einnehmen. Demütig sein. Na ja.
Oder: Einmal noch fort. Nach Beek, einmal noch. Sachen packen, Daphne einsammeln. Dann dem Unausweichlichen ins Gesicht blicken. Meinen Menschen stehen. Der Rest geht mich nichts an. Dies geht mich an, das hier alles, mehr als der Rest.
Als ich die Tür zum Krankenhausflur öffne, als ich ihr Zimmer verlassen will, habe ich eine Entscheidung getroffen. Ich habe endlich einen Gedanken zu Ende gedacht. Zumindest denke ich das. Ich öffne die Tür, und zum ersten Mal seit längerer Zeit passiert es mir wieder.
8
»Wie hast du mich gefunden?«, fragt sie.
Hört es denn niemals auf, denke ich. Ich stehe in einem Wohnzimmer mit heruntergezogenen Jalousien, dämmriges Licht zwischen schäbigen Möbeln, neben einer abgewetzten Kunstledercouch, und neben der Couch auf der fleckigen Auslegeware sitzt Kirsten und sortiert irgendetwas, Kirsten mit den langen blonden Haaren, wie ich sie von früher kenne, aber mit mehr Falten im Gesicht. Trotzdem, sie ist es, kein Zweifel.
»Wie hast du das gemacht, wo kommst du plötzlich her?«
Sie sieht gleichzeitig grimmig erfreut und erschrocken aus. Sie richtet ihren Finger auf mich.
Kirsten und ich sind früher zwei Jahre zusammen gewesen, bis ich den Freundschaftsring in die Schüssel geworfen habe. Der Finger gerät mir unscharf in den Blick, weil ich mitten hinein in Kirstens große, schwarze lodernde Augen taumele. Kirsten hat Augen wie eine schwarze Supernova, nichts als Pupille. Irgendetwas ist mit ihren Augen.
»Hallo Kirsten«, sage ich.
»Hast du Drogen genommen?« Sie kneift beim Blick in mein Gesicht die brennend schwarzen Augen zusammen. »Du hast so wahnsinnig rote Augen, da ist kein Weiß mehr übrig, krank sieht das aus.«
»Nein«, sage ich, »ist eine lange Geschichte.«
»Aber ich«, sagt sie, »willst du auch was?«
Sie zeigt auf den Couchtisch, auf dessen schwarzer Lasur eine zehn Zentimeter lange Kokainspur zusammengeschoben ist. Am Staub kann man erkennen, dass eine ebenso lange Line weggeschnupft wurde.
»Nein«, sage ich müde. Kirsten klopft neben sich auf den Teppich, damit ich mich setze.
»Entschuldige bitte«, sage ich, »aber ich kann nicht bleiben. Es war schön, dich wiederzusehen.« Und es ist mir egal, ob sie
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