Lazyboy
Wir haben uns gedacht, dass es für uns nicht nur von Vorteil ist, durch Ihre Person hin und wieder Nachrichten oder Gegenstände, Waren zum Beispiel oder auch Personen, auszutauschen, sondern dass wir den Zustand der Geteiltheit an und für sich überwinden wollen. Wir glauben, dass es für ein prosperierendes Beek vorteilhaft ist, in großem Stil an den Märkten und Arbeitskräften dort drüben zu partizipieren, mehr als dies jemals möglich sein würde, wenn wir lediglich durch eine menschengroße Öffnung in einer Wand hindurch Handel betreiben. Wir streben mittelfristig an, unabhängig von Ihren Diensten zu sein. Wir suchen also nach der großen Lösung. Das bedeutet, Sie wären frei. Und dies scheint uns ganz in Ihrem Sinne. Für die Rolle des Mittlers, dies müssen wir bereits nach so kurzer Zeit feststellen, scheinen Sie einen etwas unsteten Charakter zu besitzen. Sie scheinen der Aufgabe und der damit einhergehenden Verantwortung nicht wirklich gewachsen.«
Hier wechselt er einen spöttischen Blick mit dem Lehrer, der voller Genugtuung vor sich hin nickt und dabei mit der linken Hand liebevoll über seine Eisenstange reibt.
»Aber was heißt das, die große Lösung? Es ist jetzt Ihre Aufgabe, darüber nachzudenken. Wir haben uns entschieden, Sie zu Ihrem Glück zu zwingen. Überwinden Sie das Vorhandensein der Wand. Mit physischer Gewalt ist ihr nicht beizukommen, das wurde ausreichend versucht. Menschen haben diese Wand gemacht, wir haben sie gemacht. Und trotzdem können wir sie nicht abreißen oder klein stampfen oder sonst irgendwie bezwingen. Es ist ein Rätsel. Also müssen Sie es tun, der Sie für uns ein Rätsel ebenso wie die Wand darstellen. Als Einziger, oder sagen wir, als Einziger bis zum Auftauchen Ihrer Komplizin, waren Sie imstande, durch die unpassierbare Tür in der Wand zu gehen. Ihnen sollte qua Herkunft und Bestimmung das Unmögliche möglich sein. Diese Wand muss weg. Erst wenn Beek wiedervereinigt ist und sich die Bewohner beider Seiten frei bewegen können, unabhängig von den weiterführenden Diensten eines Mittlers, werden auch Sie sich wieder frei bewegen. Bis dahin allerdings behalten wir uns vor, Sie unter Beobachtung zu stellen. Dabei soll es nicht am Respekt fehlen, das möchte ich ganz deutlich zum Ausdruck bringen. Wir betrachten Sie weiterhin mit einer gewissen Ehrfurcht. Strengen Sie sich an. Denken Sie nach. Sie haben alle Zeit der Welt, zumindest von unserer Seite aus.«
Der Bürgermeister klatscht abschließend in die Hände und reckt das Kinn.
»Äh, darf ich etwas sagen?«, frage ich mit geschwollener Lippe.
»Nein«, antwortet der Lehrer und lächelt mich breit an.
Ich bleibe im Klassenzimmer zurück. Vor der Tür, draußen, steht der Typ mit dem Baseballschläger, um mich zu bewachen. Hier im Raum kann ich mich frei bewegen, sie haben mir die Fesseln abgenommen. Ein Märchen, denke ich. Jetzt bin ich gerade die Müllerstochter, die vom Müller an den König verschachert worden ist, der sie in eine Kammer steckt, damit sie darin über Nacht Stroh zu Gold spinnt.
Dass ich hier drinnen eingesperrt bin, ist so ungefähr das Sinnloseste, was ich mir vorstellen kann.
Ich gehe zur Tür hinüber und klopfe energisch gegen das Holz.
Ich sage: »Können wir bitte noch einmal über alles reden, bitte.«
Ich sage: »So eine Scheiße!«
Ich sage: »Ich sitze doch nicht in diesem verkackten Klassenzimmer herum, während meine Frau in einem Krankenhaus langsam vor sich hin stirbt!«
Ich sage: »Was für eine Scheiße ist das denn bitte! Ich will hier raus!«
Ich sage: »Lasst mich raus, ihr dreckigen Wichser, ihr verdammten Scheiß-Beeker!«
Ich schlage mit der flachen Hand gegen die Tür. Von draußen kommt keine Antwort. Ich hole Atem, stehe atmend vor der Tür, und dann passiert etwas, das ich nicht genau erfasse und das ich nicht mehr kontrollieren kann. Plötzlich wird irgendein Befehl vom Kleinhirn oder was weiß ich an alle Körperteile weitergegeben, und der Körper macht sich selbstständig. Irgendetwas klinkt sich aus, irgendetwas vergrößert sich und wird elastisch, als entwickele sich selbsttätig ein hypermobiler, extrastarker Exokörper, eine organische Übermaschine, als falte sich ein Faltboot auf.
Als Erstes muss ein Stuhl dran glauben. Er erhält einen Tritt und schießt krachend und geschossgleich in eine Sitzgruppe. Mein riesiger Körper reißt eine Landkarte von Beek an sich und pixelt sie zu mikroskopischem Konfetti, er metzelt und zerstückelt
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