Lazyboy
gewesen ist. Sie war oft hier, hat sich hier verkrochen. Ich bin quasi so etwas wie eine zusätzliche Großmutter für sie. Sie hat es ja wirklich nicht leicht gehabt, die Arme.«
Das ist ein Ding. Daphne geht in Beek ein und aus, sie kennt es vermutlich wie ihre Westentasche. Aber warum hat sie mir nichts davon erzählt? Immerhin haben wir uns getrennt, um einen Ausgang zu suchen.
»Wer kennt Daphne denn noch?«, frage ich.
»So gut wie keiner, das haben wir eigentlich ganz gut hingekriegt.«
»Bedeutet das dann, dass Daphne der Mittler ist?«
»Die Mittlerin, meinen Sie.«
»Meinetwegen.«
»Na, Sie sind doch der Mittler.«
»Und Daphne?«
»Daphne ist einfach sie selbst.«
»Hm«, mache ich. Ich frage mich, was das nun wieder bedeutet.
»Wollen Sie den Brunnen nun benutzen?«
»Wo komme ich denn an?«
»Das müssen Sie schon selbst herausfinden.«
»Sollten wir nicht vielleicht auf Daphne warten? Wenn Sie sie so gut kennen, dann wird sie doch bald hier auftauchen.«
»Das glaube ich kaum, sie wird mich nicht gefährden wollen. Kommen Sie!«
»Gibt es keine Leiter?«, frage ich und sehe mich suchend um.
»Muss auch so gehen«, sagt sie. »Vertrauen Sie mir, Sie müssen springen. Wie gesagt, Sie sind nicht der Erste, der so reist.«
»Meinen Sie das ernst?«, frage ich.
»Sehe ich aus, als würde ich spaßen?«
Ich muss an den Witz über den ausgestopften Ehemann denken. Ich schlucke. Dann schaue ich noch einmal ins körnige Schwarz des Brunnens hinab. Ein Schwarz mit dünnen schwarzen Armen, die mich zu sich herunterziehen wollen, einige haben sich schon um meine Knöchel geschlungen.
»Kommen Sie, seien Sie nicht so ein Waschlappen.«
Sie gibt mir einen Stoß. Ich sehe sie entrüstet an, sie grinst, ihr Gesicht kippt nach hinten weg. Ich trudele und stürze ins Schwarz.
Der Sturz ist früher beendet, als ich gedacht hätte. Ich sitze auf Sandboden. Über mir ein kreisrunder Ausschnitt Himmel, vielleicht fünf Meter Schacht, schwer zu sagen. Mein Knöchel schmerzt. Mein Bein schmerzt. Mein Ellenbogen schmerzt. Ich taste den Brunnenschacht ab. Meine erste Diagnose lautet: Brunnenschacht, solide gemauert. Ich habe keine Idee, wie ich den Brunnen als Schleuse an einen anderen Ort benutzen soll. Vielleicht muss ich im Sand graben?
»Hallo?«, rufe ich nach oben zur alten Dame hinauf, aber ich erhalte keine Antwort.
11
Ich sitze auf dem Grund eines Brunnens. Eine ganze Weile sitze ich jetzt schon so da. Ich bin gefangen, so sieht es aus. Also lasse ich meine Gedanken wandern. Sie wandern ins Krankenhauszimmer. Das Licht ist gedämpft, die schweren Vorhänge halb zugezogen. Flüssigkeit tropft aus dem Beutel in der Haltevorrichtung neben dem Bett. Grüne Leuchtzeichen knistern über einen Kontrollmonitor. Monikas Vater sitzt neben dem Bett und streicht ganz sacht mit dem Zeigefinger über die Augenlider seiner Tochter. Er flüstert leise vor sich hin, in ihre Richtung.
Unter der Bettdecke bewegt Monika die Beine, ein Fuß wühlt sich unter der Decke hervor, streckt sich ins Nichts jenseits der Bettkante hinaus.
Monika dreht den Kopf, windet ihn unter den Fingerspitzen ihres Erzeugers hervor. Sie hat den Kopf dem Fenster zugewandt. Sie blinzelt.
Sie öffnet erst eins, dann das zweite Auge. Sie kneift beide Augen zusammen. Sie schnauft. Sie stöhnt. Ihr Vater auf seinem Stuhl zuckt zusammen. Sein Körper ist von einem Moment auf den anderen von einem Übermaß elektrischer Energie angefüllt, mit dem man zwanzig Haushalte eine Stunde lang mit Strom versorgen könnte. Eben hat er sich noch ausgelaugt und verbraucht gefühlt. Monika brummt vor sich hin, sie wendet den Kopf und schaut ihren Vater an. »Papa«, sagt sie.
Der Mann, der bei ihrer Geburt im Kreißsaal anwesend war, ist sprachlos. »Papa, kannst du mir etwas zu trinken geben, bitte«, sagt Monika, »mein Hals fühlt sich an, als habe jemand mit einer Feile drin rumgemacht.«
Sie räuspert sich, es schmerzt. Ihr Vater nickt, er nickt vor sich hin, ohne damit aufhören zu können oder sein Nicken in eine sinnvolle Handlung, das Herbeischaffen eines Glases Wasser zum Beispiel, einmünden lassen zu können. Die Tür zum Zimmer öffnet sich. Monikas Mutter steckt den Kopf herein, als wäre sie an eine familieninterne Alarmleitung angeschlossen, als wäre in ihr ein Licht angegangen, das ihr mitgeteilt hat: Die Tochter ist aufgewacht. »Häschen«, sagt die Mutter, stürzt zum Bett und hält ihr das Glas Wasser unter die Lippen, das
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