Lazyboy
auf dem Nachtschrank gestanden hat. »Häschen«, wiederholt sie.
Monika räuspert sich wieder, sie sagt: »Oah, ich habe so beschissen geträumt, das glaubt ihr gar nicht. Von einem Barockmusiker in einem riesigen Schloss, der mir immerzu etwas vorspielen wollte in diesen menschenleeren Sälen, Fluren und Hallen, ich bin davongerannt, immerzu holte er sein Instrument hervor, eine winzige silberne Flöte, die gleichzeitig eine Säge war, aber ich wollte nicht, denn ich hatte das Gefühl, in den Park hinauszumüssen, eine Verabredung oder so etwas, den Park konnte ich nämlich durch die hohen Fenster betrachten, obwohl sich auch dort nichts Lebendiges regte.«
Monikas Vater nickt immer noch und weint still vor sich hin. Er hält den Oberarm seiner Tochter mit beiden Händen, als könne er ihm entgleiten, ein Griff, der sagt, hier lasse ich nie wieder los.
»Ist Heiner da?«, fragt Monika. Sie blickt die Mutter an.
» Der «, sagt die Mutter, wobei es mehr ein Fauchen ist, mit dem sie es sagt. Es gelingt ihr, eine umfangreiche Portion Ablehnung und Geringschätzung in ein einzelnes, harmloses Wort zu legen.
»Nein«, sagt die Mutter und malt ein Ornament mit dem Fingernagel auf Monikas Stirn. »Keine Ahnung, wo der hin ist.«
»Ach«, sagt Monika, und ihr Blick wird leer. Sie sieht aus, als würde sie sich an etwas erinnern.
Ich sitze an den Backsteinschacht gelehnt, die Beine ausgestreckt, den Kopf in den Nacken gelegt. Ich sehe der Wolke zu, die seit einer Minute den Ausschnitt Himmel über mir von links nach rechts bereist. Die Wolke sieht aus wie ein kleines, pralles Kissen, das ich gut hier unten gebrauchen könnte. Meine Finger kämmen den Sand, der glücklicherweise sauber ist, reiner, weißer Sand, kein Schlamm, keine Spinnen. Meine Augen haben sich mittlerweile an das Dämmerlicht gewöhnt. Ich weiß nicht, wie lange ich schon so sitze, dem Schmerz in meinem rechten Bein lausche.
Ich denke an Daphne. Wie sie an einen Baumstamm gelehnt sitzt und die Oberfläche des Beeksees betrachtet, die sich hin und wieder unter einem Windstreich kräuselt. Sie hat die Turnschuhe ausgezogen und reibt die Fußsohlen über das Gras. Ihre Füße schmerzen, weil sie den ganzen Tag durch Beek geschlichen und gerannt ist, durch Büsche gekrochen, über Zäune gestiegen, auf der Flucht vor einem besessenen Lehrer und einem läppischen Bürgermeister. Auf der Suche nach einem weiteren Ausgang aus dieser in die andere, die wirklich wirkliche Welt, aus der sie stammt und in der sie gebraucht wird.
Daphne denkt an ihren Onkel, der in seinem Zimmer im oberen Stockwerk geduldig lesend auf ihre Rückkehr wartet. Sie muss zurück, sie kann ihn auf Dauer nicht allein lassen, und deshalb wird sie auch zurückkehren. Und sie denkt an mich und fragt sich, was sie mir schuldet, in was sie sich da hat hineinziehen lassen und wozu, was sie davon hat, dass sie sich in dieser Wirklichkeit herumtreiben muss, die ihrem Sinn für Abenteuer so gar nicht entspricht, keine Pferde oder Ponys, nicht einmal ein lausiges Internat.
Statt dessen ein bitterer Lehrer und ein nicht ernst zu nehmender Bürgermeister, da kommt sie so gar nicht auf ihre Kosten. Wo bleibt der gut aussehende 15-jährige Freischärler, der sich aus dem Schatten eines Busches hervortut, der plötzlich neben ihr sitzt?
Sie seufzt. Sie beschließt, dass es für sie nur noch einen Ausweg aus Beek geben kann. Sie hat überall nachgesehen, durch jede unbewachte und zugängliche Tür oder Öffnung ihren Kopf gesteckt. Jetzt ist es ihr egal, ob man sie entdeckt und was man dann mit ihr macht. Sie steht auf. Sie beginnt sich auszuziehen. Sie zieht sich den Sweater über den Kopf, streift die enge Jeans herunter. Sie steigt aus ihrem Slip, öffnet den BH, den sie nicht braucht, nicht wirklich. Dann stellt sie sich an das Ufer des Sees und heftet den Blick auf diese unendlich graue Wand. Sie tritt in das Wasser hinein, lässt sich mit zusammengebissenen Zähnen, aufeinandergepressten Kiefern schnell ins Kalte gleiten. Sie schwimmt ein paar Züge, holt einmal tief Luft und dann taucht sie ab. Sie weiß jetzt, dass der Weg aus Beek hinaus unten zu finden ist, auf dem Grund des Sees. Dort, in seiner Mitte, befindet sich die Öffnung. Es hat immer, immer, etwas mit Wasser zu tun. Sie taucht tiefer, der Druck auf ihren Ohren nimmt zu, die Luft, die sich in ihren Backen befindet, entweicht und steigt in großen Blasen auf. Sie arbeitet sich in das dunkler werdende Grün, kratzt sich aus dem
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