Lea und die Pferde - Das Glück der Erde (German Edition)
um mich herum war keine Halle, kein Zaun. Unter uns Asphalt. Wenn Emma jetzt irgendwas Verrücktes einfiel … Ich nahm sicherheitshalber die Zügel kurz, wie Frau Witt es uns immer wieder predigte. Emma ging rückwärts. Ich schrie erschrocken auf.
»Zügel lang lassen, Lea!«, rief Wiebke. »Lass einfach los!«
Erschrocken verlor ich den Zügel ganz aus den Händen. Genial, garantiert galoppierte das Pferd gleich los!
Aber Emma tat nichts dergleichen. Stattdessen blieb sie stehen. Ich suchte meine Zügel wieder zusammen und versuchte, auch meinen Sitz zu ordnen.
Wiebke lächelte mir zu. »Entspann dich einfach, Lea!«, sagte sie dann. »Wir reiten hier nicht mit angezogener Handbremse. Wozu denn auch, wir wollen doch vorwärtskommen. Und eigentlich reitest du heute auch gar nicht. Also nicht im Sinne von Arbeit und Gymnastizierung. Heute nimmt Emma dich nur mit auf einen Spaziergang. Du lässt die Zügel locker, sitzt ruhig und genießt den schönen Tag. Aber du, Thorsten, setzt schon ein bisschen um, was wir letztes Mal geübt haben! Der liebe Hotte ist nämlich ein bisschen faul, den muss man treiben.«
Damit schwang sich Wiebke auf ihre braune Stute Lady, rief den anderen Pferdebesitzern einen Gruß zu und ritt einfach los. Emma setzte sich ebenfalls in Bewegung, was mich wieder zum ruckartigen Aufnehmen der Zügel bewog. Die Stute blieb stehen. Ich war völlig verblüfft. Noch nie hatte ein Reitschulpferd so schnell auf meine Hilfen reagiert.
»Nicht am Zügel ziehen!«, schimpfte Wiebke. »Du machst sie noch ganz nervös. Lass einfach locker, sie läuft uns nach.«
»Aber … aber … sollte sie nicht machen, was ich will?«, fragte ich nervös. Frau Witts ständige Rufe nach »Kontrolle« klangen mir im Ohr.
Wiebke seufzte. »Du kennst den Weg doch gar nicht«, bemerkte sie. »Aber gut, wenn du Emma so gar nicht vertraust, dann reite doch hier mal gerade eine Acht auf dem Hof. Damit du siehst, dass sie sich lenken lässt. Aber nicht nur rechts und links am Zügel ziehen! Mach es so, wie deine Reitlehrerin es dir erklärt hat!«
Frau Witt pflegte viel von »innerem Schenkel am Gurt« und »äußerem hinterm Gurt« zu reden, und von Gewichtsverlagerung. Aber auf Allegra und Co. hatten meine diesbezüglichen Versuche nie einen Eindruck gemacht. Umso verblüffter war ich, als Emma schon abwendete, wenn ich mich nur ein bisschen nach rechts rübersetzte. Ich brauchte die Zügel fast gar nicht, um sie um die Kurve zu lenken, und sie ging auch ohne Probleme von den anderen Pferden weg, obwohl es ihr nicht zu gefallen schien. Das tat sie kund, indem sie unwillig grunzte.
»So, und jetzt halt sie mal an – aber wieder ohne Ziehen und Zerren. Atme aus und setz dich tief in den Sattel!«
Was hatte das mit Ausatmen zu tun? Ich fand das seltsam, führte die Anweisung jedoch aus. Zu meiner Verblüffung stoppte Emma sofort.
»So!«, meinte Wiebke zufrieden. »Und diesmal hat sie auch die Hinterbeine brav unter den Körper gebracht und nicht auf der Vorhand gestoppt wie gerade eben. Das gehört nämlich zur Gymnastizierung: Das Pferd lernt, das Reitergewicht mit der stärkeren Hinterhand statt mit der schwächeren Vorhand zu tragen. Bist du jetzt überzeugt, dass Emma dich nicht umbringt?«
Ich nickte. Mehr noch, ich begann, Emma richtig lieb zu haben!
»Gut, dann können wir ja. Lass sie einfach hinterherlaufen. Und du, Thorsten, kommst neben mich, damit wir das mit dem Treiben noch einmal besprechen.«
Ich hatte bislang gedacht, Treiben bestünde darin, dem Pferd die Waden in die Flanken zu drücken oder im Zweifelsfall die Hacken in die Weichen zu hämmern, bis es schneller vorwärtsging. Bei Wiebke hörte sich das allerdings viel komplizierter an. Sie redete viel vom richtigen Rhythmus, in dem man die treibenden Hilfen einsetzte, und die Zügel hatten auch damit zu tun. Als sie Thorsten das vorführte, machte ihre Lady den Hals rund und sah plötzlich genauso edel aus wie Joker in seinen Sternstunden. Aber Wiebke strengte sich dabei nicht an und sie nahm die Zügel zwar auf, zerrte aber nicht daran herum.
Jetzt kamen wir auf einen Waldweg und die Sache begann richtig Spaß zu machen. So hatte ich mir Reiten früher vorgestellt. Schattige Alleen, singende Vögel – und dann möglichst noch der Prinz an meiner Seite. Gut, stattdessen war ich mit Thorsten gesegnet, aber der Mensch kann nicht alles haben.
Thorsten und Hotte waren inzwischen etwas zurückgefallen. Sie kamen zwar mit, aber so ganz schien er
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