Lea und die Pferde - Das Glück der Erde (German Edition)

so setzte er denn auch mit Thorsten nicht einfach über dreißig Zentimeter, sondern nahm einen imaginären Sprung von mindestens einem Meter zehn. Thorsten segelte durch die Luft.
    »Da werden wir aber noch viel üben müssen«, flötete Frau Witt. Die Dollarzeichen in ihren Augen waren nicht zu übersehen. Wenn Thorsten wirklich fürs Springen fit gemacht werden sollte, würde sein Daddy für Privatstunden löhnen müssen.

    Als der Unterricht endlich zu Ende war, bauten wir unser Kuchenbüfett im Reiterstübchen auf. Jedes Mutter-Tochter-Paar hatte etwas mitgebracht und Thorsten biss begeistert in meine Blaubeermuffins. Wir hatten uns vorher noch kurz im Privatstall getroffen. Schließlich musste ich Joker Auf Wiedersehen sagen. Er sollte tatsächlich am nächsten Tag in seinen alten Stall zurückgebrachtwerden, wo ihn professionelle Trainer möglichst schnell wieder »auf Linie« brachten.
    »Er kommt doch zurück!«, tröstete Thorsten, als ein paar meiner Tränchen auf Jokers Tapirnase tropften. »Und solange kannst du Mariano reiten, falls du Lust dazu hast.«
    Er selbst hatte ganz offensichtlich keine, kümmerte sich aber nett um den Schimmel. Mariano war sicher ganz verwundert, dass er diesmal nach dem Reiten gestriegelt und mit Möhren verwöhnt wurde. Außerdem brachten wir ihn anschließend auf die Weide und ließen ihn dort frei. Zuerst schien er das kaum glauben zu können, aber dann trabte er in langen Schritten glücklich rund um die Wiese und freute sich.
    »Weidegang kostet extra«, erklärte Thorsten. »Aber das war meine Bedingung, sonst hätte ich nicht mitgespielt. Ich möchte, dass er glücklich wird. Wie Wiebkes Pferde!«
    Ich nickte. Inzwischen wusste ich ein bisschen mehr über die Pferdehaltung bei Wiebke und ihren Freunden. Meine Mutter schleppte seit ein paar Tagen stapelweise Pferdezeitschriften heran. Die Dinger hießen »Sattelfest – Das Magazin für Freizeitreiter« oder »Zentaurus – Journal für Freizeitreiten«. Es ging darin nicht um Dressur und Springen, sondern um artgerechte Pferdehaltung – und alle möglichen alternativen Arten, Reiten zu lernen. Die Artikel lasen sich deutlich besser als die Turnierzeitschriften, die Mom früher gekauft hatte. Und sie ließen einiges ahnen, welchen Weg meine Mutter demnächst reittechnisch einschlagen wollte. Schließlich hatte sie schon Kursangebote wie »Meditatives Reiten – leicht gelernt« und »Natürlich reiten –Die Geheimnisse der Indianer« im Anzeigenteil eingekreist.
    Darüber sprach sie nun auch gerade am Kaffeetisch, als Thorsten und ich dazustießen. Anna und Marie machten ihm ehrfürchtig Platz.
    »Wir wollen in Zukunft jedenfalls anders reiten«, erklärte Mom gerade. Frau Witts bärbeißiger Miene zufolge hatte sie vorher kein gutes Haar am Reiterverein Wienberg gelassen. »Wir werden Freizeitreiter!«
    »Was heißt das genau?«, fragte Annas Mutter. Ihr gefiel der Reitstall ebenso wenig, auch wenn sie Anna den Vereinsbeitritt erlaubt hatte.
    »Das heißt, dass sie nun nur noch auf auseinandergefallenen Pferden durchs Gelände juckeln«, bemerkte Frau Witt.
    »Aber nein!« Meine Mutter war ganz von Sendungsbewusstsein erfüllt. »Das heißt, dass wir zu einem verantwortungsvollen, natürlichen und freundschaftlichen Umgang mit Pferden finden wollen! Und uns dem Reiten auch auf außergewöhnlichen Wegen nähern!«
    Ich dachte an Kurse wie »Reiten und Tai Chi« oder »Zum besseren Reiten übers Bogenschießen« und musste schlucken.
    Thorsten zwinkerte mir aufmunternd zu. »Geländejuckeln klingt gar nicht so schlecht …«, flüsterte er mir über den Muffins zu.
    Ich lächelte. »Am besten im Mondschein …«

Über die Autorin
    Dr. Christiane Gohl wurde 1958 in Bochum geboren. Nach dem Studium der Psychologie und Pädagogik arbeitete sie zunächst als Werbetexterin und Reiseleiterin, dann als freie Autorin und Fachjournalistin. Seit ihrem zehnten Lebensjahr beschäftigt sie sich mit Pferden und reitet in verschiedenen Disziplinen. Pferdefreundliches Reiten und artgerechte Haltung sind ihr dabei besonders wichtig. Mit ihren fundierten Sachbüchern und Romanen avancierte sie in kurzer Zeit zu einer Bestseller-Autorin der Pferdebuchszene. Christiane Gohl lebt heute in Spanien.