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Lea

Titel: Lea Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pascal Mercier
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in den Kleidern eingeschlafen und fror. Kurz bevor ich aufwachte, sah ich Liliane in den klackenden Clogs über den Kinikflur gehen. Sie kleidete sich jetzt in Batik und badete in Chintz.
    Ich duschte, zog etwas anderes an und ging in der Morgendämmerung durch Saint-Rémy. Eine Weile stand ich vor Van Vliets Hotel. Ich machte ein paar Fotos und schlief dann noch ein bißchen, bis es Zeit wurde, ihn abzuholen.
12
    DIE LANDSCHAFT DER PROVENCE war in schattenloses, kreidiges Winterlicht getaucht, als wir losfuhren. Jeder Ausschnitt wirkte wie ein riesiges Aquarell in Farben, die waren, als hätte man sie mit Weiß abgemischt. Ich sah die hitzeflimmernden, endlosen Straßen vor mir, auf denen ich mit Joanne und Leslie durch den amerikanischen Westen gefahren war. Changing skies , eine Formulierung, die mir sofort gefallen hatte, weil sie die Erfahrung der riesigen Dimensionen, die eine so typisch amerikanische Erfahrung ist, in zwei Worten zum Ausdruck bringt. Ein gebieterisches Licht füllte den hohen Himmel, ein Licht, das nichts als den Augenblick gelten ließ, weder den Gedanken an die Vergangenheit noch an die Zukunft, ein Licht, das blind machte für die Frage, woher man kam und wohin man ging, ein Licht, das alle Fragen nach Sinn und Zusammenhang unter seiner gleißenden Wucht erstickte. Was für ein Unterschied zu dem diskreten Licht an diesem Morgen! Angenehm für die Augen, sanft und nachsichtig, dann aber doch unbarmherzig, weil es allem den falschen Zauber nahm und jede Kleinigkeit, auch jede häßliche, gnadenlos hervortreten ließ, so daß die Dinge sich zeigen konnten, wie sie wirklich waren. Ein Licht wie geschaffen für ruhige, furchtlose, unbestechliche Erkenntnis aller Dinge, seien es fremde oder die eigenen.
    Der Kellner im Café von gestern trug die Weste offen, sie hing nachlässig an ihm herunter, und er hatte Zigarettenasche auf dem Hemd. Er hustete. Nein, ich hätte nicht mit ihm tauschen mögen.
    In Avignon gab ich den Mietwagen ab. Van Vliet hielt mir seine Autoschlüssel hin. Es war anders als gestern, bei der Pferdekoppel in der Camargue. Dort hatte er gesagt, ihm sei nicht besonders, und man hätte an Übelkeit denken können. Jetzt brauchte er keine Ausrede. Überhaupt brauchte er keine Erklärung. Er gab mir einfach die Schlüssel. Ich war sicher: Er wußte, daß ich wußte, warum. Wieder waren unsere Gedanken verschränkt. Wie gestern, als der Neufundländer ihm die Hand geleckt hatte und wir beide voneinander wußten, daß wir an Leas Hände dachten, die sich vor allem gefürchtet hatten, nur vor Tieren nicht.
    Neben uns auf dem Parkplatz stritt sich ein junges Paar, er sprach deutsch, sie französisch, und das Bestehen auf den verschiedenen Sprachen wirkte wie ein Waffengang.
    »Mit mir sprach Lea immer deutsch, mit Cécile meistens französisch«, sagte Van Vliet beim Losfahren, »besonders, wenn sie mit ihr gegen mich sprach. Auf diese Weise wurde aus meiner Liebe zu Céciles Französisch ein Haß auf Leas Französisch.«
    Lea hatte im Fieber ihrer Fortschritte gelebt. Ihre Triumphe beim Bewältigen technischer Schwierigkeiten jagten sich. Auch die Triller wurden besser. Vater und Tochter lebten jetzt in einer Wohnung, die durch die Brandung der Töne mehr und mehr zu einer neuen Wohnung geworden war, in der über Céciles Abwesenheit immer seltener gesprochen wurde. Lea störte das weniger als den Vater. Ab und zu dann, scheinbar aus heiterem Himmel, wollte Lea alles über ihre Mutter wissen. Van Vliet spürte, daß sie sie mit Marie verglich.
    »Ich merkte, daß nichts von dem, was ich sagte, stimmte. Alles falsch. Merde . Nach diesen Gesprächen lag ich wach und dachte an unsere erste Begegnung im Kino. Es war kurz nach meiner Promotion. Un homme et une femme , mit Jean-Louis Trintignant, der einer Frau wegen im Auto von der Côte d’Azur nach Paris rast, eine ganze Nacht lang. Céciles Parfum neben mir roch, als sei es auch das Parfum der Frau auf der Leinwand. Am nächsten Tag habe ich die Stadt abgesucht, bis ich es hatte. Ein Parfum von Dior. In der Pause blieben wir beide sitzen und schimpften über die Unsitte, einen Film zu unterbrechen, um Eis zu verkaufen. Auf der Straße sahen wir uns einen Moment länger an, als Zufallsbekannte es sonst tun. Wenn ich denke, daß es dieser Moment war, der über alles entschied, auch über Lea, ihr Glück und die Katastrophe, in die es mündete. Das Kino royal an der Laupenstraße. Ein warmer Sommerabend. Ein bißchen Feuchtigkeit auf

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