Leadership: Lehren, die mich durchs Leben führten (German Edition)
sie von ihrem bürokratischen Korsett, und wir konnten offen sprechen: Hier fühlten sie sich nicht verpflichtet, die Interessen ihrer großen Organisationen mit Zähnen und Klauen zu verteidigen. Stattdessen hatte ich es mit den erfahrensten Führungskräften der Streitkräfte zu tun. Diese Sitzungen waren sehr produktiv. Wir konnten uns mit den grundlegenden Fragen von Krieg und Frieden befassen.
Nicht alle Meetings waren strukturiert. Beispielsweise beendete ich den Tag gern mit einem ungezwungenen Treffen, bei dem sich drei oder vier enge Mitarbeiter in meinem Büro trafen, die Füße hochlegten und darüber sprachen, wie die Dinge liefen. Wir hatten keine Eile und konnten uns auf die Herausforderungen und Möglichkeiten vorbereiten, die der nächste Tag bringen würde.
Die Menschen sind von Natur aus gesellige Wesen. Sie brauchen die Gesellschaft anderer Menschen, um ihre Träume und Sorgen zu teilen, Rückhalt zu finden und einander anzuspornen.
Wenn zwei Menschen ein Gespräch beginnen, hat man ein Meeting. Je größer Organisationen werden, desto mehr Menschen brauchen Gelegenheit zu förmlichen und informellen Begegnungen. Ich habe stets versucht, in allen Meetings ungeachtet ihrer Größe jene Atmosphäre der Vertrautheit und des Respekts zu erzeugen, wie sie zwischen zwei alten Freunden herrscht, die sich treffen, um sich an ihre gemeinsame Vergangenheit zu erinnern.
Der Unersetzliche
In den schlimmsten Tagen des Amerikanischen Bürgerkriegs floh Präsident Abraham Lincoln oft vor der Sommerhitze in Washington und ritt hinauf zu einer Telegraphenstation auf den frischen Hügeln nördlich der Stadt. Die Telegraphie gab den Anstoß zur Revolution in der Kommunikationstechnologie, die mittlerweile Nachrichtensatelliten und das Internet hervorgebracht hat. Präsident Lincoln erhielt im Telegraphenbüro die letzten Meldungen von der Front.
Eines Abends traf die Nachricht von einem weiteren Rückschlag für die Union ein. Eine Kavallerieeinheit der Konföderierten hatte bei Manassas in Virginia ein Lager der Unionstruppen überrannt, einen Brigadegeneral in ihre Gewalt gebracht und hundert Pferde erbeutet. Als ihm der Telegraphenbeamte die Mitteilung übergab, sank Lincoln in seinen Stuhl zurück. In klagendem Ton sagte er: »Das ist ein schmerzhafter Verlust. Hundert Pferde.«
Der Angestellte fühlte sich verpflichtet zu fragen: »Und was ist mit dem Brigadegeneral, Herr Präsident?«
Lincoln erwiderte: »Einen neuen Brigadegeneral habe ich in fünf Minuten ernannt. Aber es ist schwierig, hundert Pferde zu ersetzen.«
Dieses Zitat rahmte ein Freund ein und schenkte es mir am Tag meiner Beförderung zum Brigadegeneral. Ich habe es in jedem meiner Büros hinter dem Schreibtisch an der Wand hängen gehabt. Eine Führungskraft muss die Pferde zusammenhalten, das Beste aus ihnen herausholen und dafür sorgen, dass sie alle in die richtige Richtung ziehen. Und natürlich musste ich dafür sorgen, dass im Moment meiner Ablösung hinter mir geeignete Personen für den Posten des Brigadegenerals bereitstanden.
»Nehmen wir an, ich würde Sie alle in ein Flugzeug setzen und dieses Flugzeug würde abstürzen«, erklärte General Bernie Rogers, der Stabschef des Heeres, bei der Begrüßung meiner Klasse von 59 neuen Brigadegenerälen. »Dann hätte ich auf meiner Liste die Namen von 59 weiteren Männern, die genauso gut sind wie Sie. Es wäre kein Problem, Sie zu verlieren.«
Während des Aufmarschs für die Operation Wüstensturm erkrankte der Kommandeur der Koalitionstruppen, General Norman Schwarzkopf. Wir brauchten Norm, da er den Überblick über unsere Pläne hatte, aber ich konnte nicht zulassen, dass er unverzichtbar wurde. Für alle Fälle hatte ich einen Ersatz im Sinn, und mein Vorgesetzter, Verteidigungsminister Dick Cheney, wusste, wen ich vorschlagen würde.
General Max Thurman, Chef des Southern Command in den Jahren 1989 bis 1991 , hatte den Militäreinsatz zur Entmachtung des panamesischen Diktators Manuel Noriega geplant und geleitet. Max war einer der besten Soldaten, denen ich je begegnet bin, und einer meiner engsten Freunde. Nach der erfolgreichen Invasion Panamas wurde bei Max Leukämie diagnostiziert. Er behielt zunächst das Kommando über unsere Streitkräfte in Lateinamerika, aber nach einigen Monaten wurde klar, dass er seine Aufgaben nicht mehr erfüllen konnte, da die Behandlung sehr intensiv wurde. Verteidigungsminister Cheney stand Max nahe und wollte ihn nicht ablösen. Doch ich
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