Lean In: Frauen und der Wille zum Erfolg (German Edition)
Verantwortung für Fehler zu übernehmen, habe ich auf die harte Tour gelernt. Während meiner ersten Woche als Stabschefin im Finanzministerium hatte ich zum ersten Mal Gelegenheit, direkt mit den Abteilungsleitern zusammenzuarbeiten. Es gibt einen richtigen und einen falschen Weg, in eine Arbeitsbeziehung einzusteigen. Ich wählte den falschen. Mein erster Anruf galt Commissioner Ray Kelly, der damals für den amerikanischen Zoll verantwortlich war und heute Polizeichef in New York ist. Statt auf ihn zuzugehen und meine Unterstützung anzubieten, rief ich ihn wegen eines Anliegens des Ministers an. Ich erweckte den Eindruck, dass meine Aufgabe darin bestehe, etwas zu fordern und seine darin, zu gehorchen. Das war ein Fehler. Rays Antwort kam schnell und war unmissverständlich. »[Kraftausdruck], Sheryl«, erklärte er. »Nur weil ich nicht Mitglied in Larry Summers [Kraftausdruck] Beratertruppe aus Dreißigjährigen bin, bedeutet das nicht, dass ich nicht weiß, was ich tue! Wenn Minister Summers etwas von mir will, sagen Sie ihm, dass er mich [Kraftausdruck] selbst anrufen soll!« Dann legte er auf. Das lief nicht so toll , dachte ich. Eine Woche im neuen Job, und schon hatte ich einen Mann verärgert, der sich mit Waffen auskannte.
Nachdem ich aufgehört hatte zu zittern, wurde mir klar, dass mir Commissioner Kelly einen großen Gefallen getan hatte. Sein »Feedback« – überbracht auf eine Art und Weise, die ich nie vergessen werde – war extrem hilfreich. Bei den anderen Abteilungsleitern eröffnete ich das Gespräch, indem ich fragte, wie ich sie bei der Erreichung ihrer Ziele unterstützen könne. Kein Wunder, dass sie positiver reagierten und mit deutlich weniger Kraftausdrücken. Und seitdem ich meine »Was habe ich in letzter Zeit für Sie getan?«-Herangehensweise anwandte, waren sie deutlich eher darauf erpicht, auch mir einen Gefallen zu tun.
Wie sehr ich mich auch bemühe, die Leute zu ehrlichen Äußerungen zu bringen, es bleibt doch schwierig, sie ihnen zu entlocken. Als ich anfing, mein Team bei Google aufzubauen, führte ich mit jedem Kandidaten ein Gespräch, bevor ich ihm ein Angebot machte. Selbst als das Team auf ungefähr hundert Leute angewachsen war, sprach ich immer noch mit jedem in der engsten Auswahl. Als ich eines Tages in einer Besprechung mit meinen engsten Mitarbeitern in Aussicht stellte, diese Gespräche zukünftig nicht mehr zu führen, war ich fest davon überzeugt, alle würden weiterhin darauf bestehen, weil mein Beitrag wesentlicher Teil des Verfahrens für sie war. Stattdessen applaudierten sie. Alle meldeten sich zu Wort, um – unisono – zu erklären, dass mein Wunsch nach persönlichen Gesprächen mit allen Kandidaten zu einem extremen Nadelöhr geworden war. Ich hatte ja keine Ahnung gehabt, dass ich das Team ausbremste und war verärgert, dass niemand es mir gesagt hatte. Ich grollte ein paar Stunden lang vor mich hin – da ich kein Pokerface machen kann, war es vermutlich für alle offensichtlich. Dann aber wurde mir eins klar: Da meine Kollegen dies für sich behalten hatten, zeigte ich mein Interesse an ihren Anregungen offenkundig nicht deutlich genug. Wenn mir an mehr Vorschlägen gelegen war, musste ich das wohl deutlicher machen. Zu schlechter Kommunikation gehören immer zwei. Also ging ich erneut zu meinem Team und erklärte mich einverstanden, keine Vorstellungsgespräche mehr zu führen. Und noch wichtiger, ich sagte ihnen, dass ich Anregungen frühzeitig und häufig hören wolle.
Offen über seine Schwächen zu sprechen hilft auch, um authentische Kommunikation zu fördern. Ich zum Beispiel – um nur eine meiner Schwächen zu nennen – habe die Tendenz, angesichts ungelöster Probleme ungeduldig zu werden. Ich reagiere dann, indem ich Menschen unter Druck setze, sie schnell zu lösen – und zwar mitunter, bevor das realistischerweise überhaupt möglich ist. David Fischer und ich arbeiten seit fünfzehn Jahren eng zusammen, erst im Finanzministerium, dann bei Google und jetzt bei Facebook. Er scherzt, dass er am Ton meiner Stimme erkennen kann, ob er sich die Mühe machen soll, eine Aufgabe zu Ende zu führen, oder ob ich sowieso kurz davor bin, sie selbst zu erledigen. Ich gebe meine Ungeduld offen zu und bitte meine Kollegen, mir zu sagen, wann ich mich beruhigen muss. Indem ich selbst darüber spreche, gestatte ich anderen, es ebenfalls zu tun – und auch, darüber Witze zu machen. Meine Kollegen sagen zu mir: »Sheryl, du hast uns gebeten,
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