Lean In: Frauen und der Wille zum Erfolg (German Edition)
für Omid Kordestani. Dabei kam es zwischen Omid und mir zu einem großen Missverständnis. Ich ging zu ihm, um darüber zu sprechen. Ich hatte vor, in Ruhe zu erklären, was mich aufregte. Doch als ich anfing zu sprechen, brach ich in Tränen aus. Ich war entsetzt, ich weinte vor den Augen meines neuen Chefs, den ich kaum kannte, was nur zu noch mehr Tränen führte. Aber ich hatte Glück. Omid war geduldig, beruhigte mich und betonte: »Jeder regt sich mal im Beruf auf. Das ist völlig normal.«
Die meisten Frauen glauben – und Forschungsergebnisse legen das auch nahe – , dass es keine gute Idee ist, bei der Arbeit zu weinen. 3 Grundsätzlich plane ich das auch nicht, und in den Sieben Wegen zur Effektivität wird es sicherlich ebenfalls nicht empfohlen, doch in den wenigen Augenblicken, in denen ich wirklich frustriert war oder mich – schlimmer noch – verraten gefühlt habe, sind mir bisher immer Tränen in die Augen gestiegen. Und obwohl ich nun älter und erfahrener geworden bin, passiert mir das gelegentlich immer noch.
Ich war seit fast einem Jahr bei Facebook, als ich herausfand, dass jemand etwas über mich gesagt hatte, was nicht nur falsch, sondern auch gemein war. Ich erzählte Mark davon, und all meinen Bemühungen zum Trotz fing ich dabei an zu weinen. Er versicherte mir, die Anschuldigung sei so falsch, dass kein Mensch sie ernsthaft glauben könne. Und dann fragte er: »Soll ich dich umarmen?« Er sollte. Für uns war das ein entscheidender Augenblick. Ich fühlte mich ihm näher als je zuvor. Ich habe diese Geschichte später auch öffentlich erzählt, da sie anderen, die ebenfalls ungewollt Tränen vergossen haben, vielleicht das Leben erleichtern kann. Die Presse berichtete darüber dann unter der Überschrift: »Sheryl Sandberg weinte an Mark Zuckerbergs Schulter«, was nicht ganz der Wahrheit entsprach. Ich hatte einfach meinen Gefühlen Ausdruck verliehen, und Mark hatte auf einmalig menschliche Weise darauf reagiert.
Gefühle mitzuteilen führt zu tieferen Beziehungen. Motivation ergibt sich daraus, dass wir an Dingen arbeiten, die uns etwas bedeuten. Damit uns andere etwas bedeuten, müssen wir sie verstehen – was sie mögen und was nicht, was sie fühlen und was sie denken. Gefühle lenken Männer wie Frauen und beeinflussen sämtliche Entscheidungen, die wir treffen. Wenn wir die Rolle von Gefühlen anerkennen und über sie sprechen, macht uns das zu besseren Managern, Partnern und Kollegen.
Das war mir nicht immer klar. Früher glaubte ich, professionell zu sein bedeute, strukturiert und konzentriert zu sein und mein Privatleben vom Beruf zu trennen. Ganz am Anfang bei Google hatten Omid und ich jede Woche ein Vieraugengespräch. Jedes Mal erschien ich mit einer ausgedruckten Tagesordnung in seinem Büro und kam unmittelbar auf Sachfragen zu sprechen. Ich fand mich unglaublich effizient, aber mein Kollege Tim Armstrong (der später Vorstandsvorsitzender von AOL wurde) nahm mich eines Tages freundlich beiseite und gab mir einen Rat. Ich solle mir einen Augenblick Zeit nehmen und einen echten Kontakt mit Omid herstellen, bevor ich zur Sache käme. Da Omid und ich diese Besprechungen allein führten, war klar, wer mit Tim darüber gesprochen hatte. Ich änderte meinen Einstieg und begann, Omid nach seinem Befinden zu fragen, bevor ich mich auf meine To-do-Liste stürzte. Das war eine gute Lektion. Sich nur auf das Sachliche zu konzentrieren, ohne nach rechts und links zu schauen, ist der Sache nicht immer unbedingt dienlich.
Diese Erkenntnis ist das Ergebnis einer langen Entwicklung, aber heute bin ich felsenfest davon überzeugt, dass wir unsere gesamte Person in die Arbeit einbringen sollten. Ich glaube nicht mehr daran, dass die Leute von Montag bis Freitag ein berufliches Ich haben und ein richtiges Ich für den Rest der Zeit. Diese Art der Trennung hat es wahrscheinlich nie gegeben. In der heutigen Ära des individuellen Ausdrucks, in der Menschen andauernd ihren Facebook-Status aktualisieren und jeden ihrer Schritte twittern, ist sie sogar noch weniger sinnvoll. Statt eine Art künstliche »Berufsfassade« zu errichten, ist es meiner Meinung nach vorteilhafter, unsere Wahrheit kundzutun, über unsere persönliche Lage zu sprechen und uns einzugestehen, dass berufliche Entscheidungen oft von Gefühlen gesteuert sind. Diese Lektion hätte ich schon vor Jahren lernen sollen.
Als ich 1995 die Business School abschloss, bot mir Larry Summers eine Stelle im Finanzministerium
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