Leander und der tiefe Frieden (German Edition)
dann Einblicke, die erklären, wie ein einfacher Fischer
– und mein Großvater war doch wohl ein solcher – zu einem solchen Vermögen
kommen konnte.«
»Nun, er hat schon immer die Zeichen der Zeit erkannt, ist
rechtzeitig in verschiedene Geschäfte eingestiegen, hat sparsam gelebt und,
wenn ich das sagen darf, ohne dass es nach Eigenlob klingen soll, er hat auf
seine Berater gehört.«
»Damit meinen Sie sich selbst?«
»Nun, unter anderem meinen Vater und mich, ja. Dann ist da ein
weiterer Freund Ihres Großvaters, der Immobilienmakler Enno Jessen. Er hatte
stets eine goldene Hand und hat seine Freunde daran teilhaben lassen. Meine
Mühle und diesen Haubarg verdanke ich seinen frühzeitigen Informationen, so
wie Ihr Großvater bereits in frühe Planungsstadien diverser Grundstücks-und
Ferienhausgeschäfte eingeweiht worden ist. Im Gegenzug hat mein Vater seine Freunde
ebenfalls sehr vorteilhaft beraten und vertreten. So ist das hier auf unserer
Insel: Jeder hilft jedem, so gut er kann. Unter dem Strich kommt dabei für alle
das Optimum heraus. Es wäre mir also eine Freude, wenn ich auch Ihnen in
Zukunft als Rechtsanwalt und Notar zur Verfügung stehen dürfte.«
Leander nickte unverbindlich, äußerte sich jedoch nicht zu
diesem Angebot. Er witterte in dörflichen Strukturen stets Seilschaften und
Vetternwirtschaft und hielt sich für gut beraten, sich da herauszuhalten. Wie
das hier auf einer Insel war, konnte er noch nicht einschätzen. Möglicherweise
war man hier ohne Anbindung ja sogar völlig hilflos, das Festland ist in
bestimmten Situationen weit.
»Ich weiß Ihr Angebot zu schätzen und komme sicher darauf
zurück«, erklärte er deshalb, »aber Sie werden verstehen, wenn ich mir zunächst
selbst einen Überblick verschaffen möchte, bevor ich mich festlege.«
»Der Herr Kommissar«, entgegnete Petersen mit einem leicht
spöttischen Lächeln. »Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste, nicht wahr?«
»Betrachten Sie es einfach als professionelle Deformation, und
denken Sie sich nichts weiter dabei.«
»Professionelle Deformation, wie? In diesem Sinne: Zeigen Sie
mir bitte noch die Kaufurkunden für das Haus und den Kutter, damit wir die Sache
korrekt zum Abschluss bringen.«
Leander stand auf und nahm seinen Mantel vom Kleiderbügel. Er
griff in die Innentasche, zog die Urkunden zusammen mit dem Versicherungsschein
für die Haffmöwe heraus und reichte beide dem Notar. Der warf einen
kurzen Blick darauf und schien einen Moment lang nicht sehr zufrieden zu sein.
Jedoch hatte er seine Gesichtszüge genauso schnell wieder unter Kontrolle wie
schon zu Beginn ihres Gespräches, als Leander den Eindruck gehabt hatte, dass
seine spitzen Bemerkungen über Hindelangs Morbidität und Petersens vitales
Interesse daran den Notar leicht verunsichert hatten.
Er lächelte Leander auf seine professionelle undurchdringliche
Art an und sagte: »Na, prima, dann ist ja alles in Ordnung. Wenn Sie gleich
diesen Antrag auf Aushändigung eines Erbscheines unterzeichnen, werde ich ihn
noch heute an das zuständige Amtsgericht weiterleiten. Sie sollten dann in
wenigen Tagen über Ihr Erbe verfügen können. Den Versicherungsschein behalte
ich hier. Ich kümmere mich darum, dass die Sache schnell abgewickelt wird.«
Leander unterschrieb den Antrag und steckte die Hausurkunde
zusammen mit der Erklärung seiner Annahme des Erbes in die Innentasche des
Mantels zurück. Hauke Petersen erhob sich, was Leander als Signal verstand, ebenfalls
aufzustehen. Der Notar reichte ihm die Hand und ging um seinen Schreibtisch
herum auf die Tür zu.
»Falls Sie noch Fragen haben, stehe ich Ihnen jederzeit zur
Verfügung, auch später, wenn Sie wieder auf dem Festland sind. Sie werden
sicher froh sein, wenn Sie hier alles hinter sich haben. Wann werden Sie wieder
abreisen?«
»Das steht noch nicht fest, vielleicht gar nicht«, antwortete
Leander, der plötzlich das Gefühl hatte, der Notar könne seine Abreise gar
nicht erwarten.
»Gar nicht?«
»Nun, zunächst habe ich keine anderen Verpflichtungen, und da
ich ja mindestens vier Wochen im Jahr hier wohnen muss, kann ich das auch
gleich machen. Wer weiß, vielleicht gefällt es mir hier so gut, dass ich ganz
bleibe – wie Sie sagten, reicht das Erbe meines Großvaters für ein bescheidenes
Leben hier auf der Insel.«
»Sie haben doch Familie und Ihren Beruf«, der Notar überlegte
einen Moment, »beim LKA in Kiel, wenn ich richtig informiert bin?«
Leander nickte.
»Wartet
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