Leander und der tiefe Frieden (German Edition)
Leander die ganze Zeit über schweigend
beobachtet zu haben schien. »Kennen Sie Götz Hindelang? Er wohnt in Greveling,
zwischen Wyk und Nieblum, hat dort ein nettes kleines Atelier in einem der
Warfthäuser. Ein nicht mehr ganz junger, aber dafür umso aufstrebenderer
Künstler. Ich kaufe gelegentlich das eine oder andere seiner Bilder, in der
Hoffnung, dass sie ihren Wert vervielfachen werden. Und es funktioniert. Das
erste Bild habe ich damals für hundert Mark gekauft, heute muss ich für seine
Werke zwischen achthundert und tausend Euro auf den Tisch legen. Aber was wäre
die Kunst ohne Mäzenatentum?«
»Interessant«, entgegnete Leander, »diese Mischung aus
Melancholie und Optimismus.«
»Morbidität!«, verbesserte Petersen ihn. »Sein ewiges Thema ist
Morbidität, der Verfall, der in allen Dingen von Anbeginn angelegt ist – so wie
der Tod von Geburt an vorbestimmt und nur eine Frage des Zeitpunktes ist,
verstehen Sie? Jede Sekunde, jeder Atemzug ist ein Schritt auf ihn zu. Ist der
Gedanke nicht faszinierend?«
»Sie haben als Mäzen also ein geradezu vitales Interesse an
Hindelangs Morbidität«, antwortete Leander, dem die belehrende Art des Anwalts
auf die Nerven ging, etwas spitz.
»Wie bitte?« Petersen kniff die Augen leicht verwirrt zusammen.
»Na ja, er soll weitermachen, bis er berühmt ist. Wenn er dann
stirbt, können Sie sich über eine satte Wertsteigerung freuen. Das ist ja nun
kein neuer Gedanke, ebenso wie die Anlage des Todes gleich mit der Geburt. Wer
Theodor Storm kennt, weiß, dass es schon vor hundertfünfzig Jahren und
wahrscheinlich lange vorher Menschen gegeben hat, die ihr ganzes Leben mit der
Angst vor dem Tod verbracht haben. Darauf basiert die Macht der Religionen und
Kirchen.«
Der Rechtsanwalt schwieg und schien einen Moment zu überlegen,
wie er auf diese offene Attacke reagieren sollte. Dann entschied er sich
offenbar, die Diskussion nicht aus dem Ruder laufen zu lassen, und lachte
gekünstelt auf.
»Mein vitales Interesse an Hindelangs Morbidität – schön
gesagt. Ich werde es ihm gelegentlich weitererzählen.«
»Womit wir dann vielleicht zu unserem eigentlichen Thema kommen
sollten«, fuhr Leander fort. »Haben Sie nähere Informationen über den Tod
meines Großvaters?«
»Ein tragischer Unfall. Der alte Mann hätte nicht im Sturm
auslaufen dürfen, sein kleiner Kutter war nicht für schwere See ausgelegt. Für
meinen Vater war es ein harter Schlag, er war mit dem alten Hinnerk eng
befreundet, sehr eng, wenn ich das sagen darf. Auch für Sie muss das eine
schreckliche Nachricht gewesen sein.«
»Ich kannte meinen Großvater kaum«, entgegnete Leander, ohne
das weiter auszuführen.
Der Notar nickte, und Leander glaubte für einen kurzen Moment
so etwas wie ein Lächeln über sein Gesicht huschen zu sehen. Das irritierte
ihn, denn er konnte nicht einschätzen, ob es spöttisch gemeint war oder ob
etwas anderes dahintersteckte.
»Dann wird Ihre Freude, die ich Ihnen gleich bereiten werde,
weniger von Trauer getrübt sein, als ich befürchten musste«, sagte Petersen.
Er wollte gerade eine dunkelbraune Ledermappe aufschlagen, als
eine seiner Sekretärinnen ohne anzuklopfen mit einem Tablett in den Raum trat
und zwei Tassen Cappuccino, zwei Schwenker mit Cognac, zwei mit Wasser gefüllte
Gläser und eine Zuckerdose vor Leander und Petersen auf den Schreibtisch
stellte. Dann verließ sie genauso geräusch-und wortlos, wie sie hereingekommen
war, wieder das Büro. Der Notar hatte seine Mitarbeiterinnen offensichtlich auf
das Feinste abgerichtet.
»Sie bedienen sich?«, fragte Petersen und deutete auf den
Zucker.
Dann schlug er die Mappe auf und entnahm ihr einen
großformatigen, versiegelten Umschlag.
»Ihr Großvater hat mich als Notar mit der Erstellung und
Verwahrung seines letzten Willens betraut«, begann er förmlich, jetzt ganz der
Notar ohne persönliche Beteiligung. »Nach seinem Tod habe ich Sie als einzigen
nächsten Angehörigen und damit als Alleinerben ausgemacht. Das deckt sich auch
mit dem Willen Ihres Herrn Großvaters, so dass wir hier und heute vollzählig
zur Testamentseröffnung erschienen sind. Meine Sekretärin hat die nötigen Erklärungen
bereits vorbereitet, die Sie im Anschluss unterschreiben müssen, deshalb können
wir uns mit Ihrem Einverständnis ein Protokoll ersparen.«
Er wartete kurz Leanders zustimmendes Nicken ab und fuhr dann
im gleichen Tonfall fort: »Bevor wir beginnen, muss ich Sie fragen, ob Sie im
Besitz der
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