Leander und der tiefe Frieden (German Edition)
über seine Schulter
zurück, ohne sich noch einmal umzudrehen, und rief: »Am Dienstag im Kleinen Versteck . Dann erzähle ich Ihnen vielleicht, was ich noch alles über Sie
weiß.«
Kurz darauf war er in der Dunkelheit verschwunden. Leander
zuckte mit den Schultern und machte sich in der eisigen Kälte auf den Weg
zurück nach Hause. Die Dorfstraßen und schließlich auch die Fußgängerzone waren
fast menschenleer. So musste es hier sein, wenn die Touristen wieder abgereist
waren und sich die Insel im Januar zum Winterschlaf niederlegte. Leander freute
sich auf diese Zeit.
7
Montag, 22. Dezember
Leander staunte nicht schlecht, als er feststellte, dass
sich die Kanzlei des Notars Claus Petersen auf dem Grundstück der Windmühle in
der Mühlenstraße befand, deren Flügelrad die Aufschrift Venti Amica trug
– Freundin des Windes. Auf einer Tafel an der Außenwand las Leander die Information,
dass es sich bei der Mühle um einen Galerie-Holländer handelte. An der
niedrigen Backsteinmauer, die das Grundstück einfriedete, hing direkt neben dem
breiten, geschwungenen weißen Holztor ein Messingschild mit der Aufschrift Dr.
C. Petersen & Sohn, Rechtsanwälte und Notare . Das C. stand sicher für
Claus Petersen, den Notar, der bereits Hinnerks Hauskauf beglaubigt hatte.
Leander drückte auf den eingelassenen Klingelknopf und wurde
umgehend per Drücker auf das Grundstück gelassen. Ein roter Backsteinweg
verzweigte sich nach wenigen Metern nach rechts zur Mühle und nach links zu
einem langgestreckten weißen Friesenhaus. Die Mühle war die Privatwohnung des
Notars, das Friesenhaus beherbergte die Kanzlei, deren Tür sich auf leichten
Druck öffnete.
Leander trat ein und fand sich in einem geräumigen und hellen
Empfangsraum wieder, in dessen Mitte eine halbrunde Theke stand, die drei
Anwaltsgehilfinnen Arbeitsplätze bot. Hier meldete er sich an und verwies auf
den Termin, den er mit dem Notar ausgemacht hatte.
»Einen Moment, bitte«, entgegnete eine der jungen Damen
lächelnd, aber auf professionelle Distanz bedacht, während die anderen beiden
unbeeindruckt an ihren Computern arbeiteten.
Sie betätigte die Gegensprechanlage und meldete Leander an.
Anstelle einer mündlichen Antwort öffnete sich nach einem kurzen Augenblick die
Tür zum Büro des Notars, und ein elegant, aber durchaus auch sportlich
gekleideter Mann, der etwa zwanzig Jahre älter als Leander zu sein schien, kam
erfreut lächelnd auf ihn zu, als dürfe er einen lang vermissten alten Bekannten
endlich wieder begrüßen.
»Herr Leander«, sagte er und streckte ihm die rechte Hand
entgegen. »Es freut mich, dass wir uns nun persönlich kennenlernen. Ich bin
Hauke Petersen. Ihr Großvater und mein Vater waren alte Freunde, und Ihr Vater
Bjarne und ich sind zusammen aufgewachsen. Ich darf sagen, dass wir damals
ebenfalls eng befreundet waren. Leider haben wir uns später aus den Augen verloren.
Ich habe erst in diesen Tagen von Bjarnes Tod erfahren. Nun bin ich dafür
zuständig, eventuelle weitere Erbberechtigte Ihres Großvaters zu ermitteln.
Aber treten Sie doch ein!«
Als Leander das Büro betrat, half ihm eine der Sekretärinnen
aus dem Mantel und hängte ihn an einen Kleiderständer gleich neben der Tür.
Petersen gab ihr kurz die Anweisung, ihnen Kaffee, Mineralwasser und Cognac zu
bringen und sie darüber hinaus für die nächste Stunde nicht zu stören. Dann
schloss er die Tür hinter ihr und deutete auf hochlehnige Ledersessel, die vor
einem ausladenden Schreibtisch standen.
Leander nahm Platz und ließ seinen Blick durch den geräumigen
und lichtdurchfluteten Raum gleiten. An den Wänden hingen Gemälde von der Art,
wie er sie in der Galerie gesehen hatte: Bilder von Meerestieren, Leuchttürmen,
Schiffen, Dünenkämmen und Muscheln. Das als Hintergrund verwendete
Kartenmaterial schien ausnahmslos aus Kunstdrucken alter Seekarten aus der Zeit
der Entdecker und Eroberer im fünfzehnten Jahrhundert zu bestehen, was den
Bildern einen teils naiven, teils wertvollen Ausdruck verlieh. Ein Bild gefiel
Leander besonders, obwohl, oder vielleicht gerade weil es nicht auf eine
Seekarte gezeichnet war. Es handelte sich um das Bild eines Wracks, das am
Meeresboden lag, von Sand halb bedeckt und von Fischschwärmen umgeben. Der
Rumpf gab das Traumbild eines stattlichen Segelschiffes wieder, das mit voller
Takelage stolz vor dem Wind segelte.
»Hindelang«, erklärte Petersen, der sich inzwischen hinter
seinen Schreibtisch gesetzt hatte und
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