Leander und der tiefe Frieden (German Edition)
dichtmachte.
Leander kannte das: Wenn ein Verhör an diesen Punkt geriet, war alles weitere
Nachhaken aussichtslos.
Plötzlich machte der alte Mann Anstalten, sich zu erheben, aber
er kam nicht aus seinem Sessel heraus.
»Hilf mir, Mädchen«, keuchte er und reichte Eiken seinen Arm.
»Ich gehe ins Bett.«
Eiken half ihm hoch und führte ihn mit einem entschuldigenden
Seitenblick zu Lena und Leander aus dem Zimmer.
»Merkwürdig«, sagte Leander, als sie alleine waren. »Als die
Rede auf den Engländer kam, ist er abgetaucht. Was meinte er nur damit, dass er
Hinnerk verraten habe?«
»Wenn wir das herausfinden, haben wir den Schlüssel zu Hinnerks
Tod. Das fühle ich«, antwortete Lena.
»Wunschdenken oder kriminalistischer Instinkt?«, fragte Leander
grinsend.
Lena überlegte einen Moment, grinste dann ebenfalls und
antwortete: »Ein bisschen was von beidem, fürchte ich.«
Eiken kam zurück und schenkte allen Punsch nach.
»Das war’s für heute«, sagte sie und setzte sich in ihren
Sessel. »Der kommt nicht mehr zurück. Er ist jetzt in seiner Welt, bei Hinnerk
und Wencke. Mit etwas Glück ist er morgen wieder ansprechbar, dann versuche
ich, noch etwas mehr zu erfahren.«
»Wenn wir jetzt eh nicht weiterkommen«, schlug Lena vor, »dann
können wir heute Abend ja vielleicht mal von etwas anderem reden. Wie lebt es
sich denn auf so einer Insel? Ist hier nicht alles furchtbar eng?«
»Und ob«, gab Eiken zu. »Du wirst sehen, Henning, auch wenn
dein Großvater Insulaner gewesen ist und du irgendwann einmal zwanzig Jahre
lang hier wohnen wirst, du wirst immer nur ein Zugezogener bleiben. Friesen
sind unglaubliche Sturköppe.«
Sie redeten eine Weile über die Besonderheiten der Insulaner,
die Eiken mit so mancher Anekdote zu untermauern wusste, und auch wenn sie
darüber herzlich lachten, so ahnte Leander doch, dass sein Leben auf der Insel
nicht leicht werden würde. Irgendwann, als allen der Punsch so richtig in den
Kopf gestiegen war, machten sich Leander und Lena wieder auf den Weg nach
Hause. Die Beine wurden ihnen schwer, und es gelang ihnen kaum, geradeaus zu
gehen.
Leander drehte sich einmal um und bekam einen Lachkrampf, als
er ihre kurvenreiche Spur im Schnee erblickte. Lena musste ihn stützen, damit
er vor Lachen nicht umfiel. Sie waren beide heilfroh, als sie endlich unter
ihren warmen Bettdecken lagen und sich keinen Meter mehr bewegen mussten.
13
Samstag, 27. Dezember
Beim Frühstück beschlossen Leander und Lena, an diesem
Vormittag Ocko Hansen aufzusuchen und ihm die gleichen Fragen zu stellen wie am
gestrigen Abend Wilhelm Jörgensen. Vielleicht erzählte er die gleiche
Geschichte, dann war alles perfekt abgesprochen, oder sie konnten beruhigt
sein, was Hinnerks Unschuld betraf; vielleicht taten sich aber auch
Widersprüche auf, und sie hatten endlich einen Ansatzpunkt für ihre
Ermittlungen. Leander wusste nicht, was ihm lieber wäre.
Sie schlenderten Arm in Arm durch die Fußgängerzone in Richtung
Sandwall. In der Nacht hatte es wieder ergiebig geschneit, und die Feriengäste,
denen sie in der Fußgängerzone begegneten, waren dick vermummt, weil vom Meer
her eine eiskalte Brise durch die Gassen zog.
Ockko Hansens Laden war geöffnet und begrüßte die Eintretenden
mit einer altmodischen Klingel vom Typ Nervtöter, einem kleinen Glöckchen, das
an einem gebogenen Blechstreifen über der Tür hing und jedes Mal leicht hin und
her federte, wenn die Tür sie streifte. Der Fotograf stand in einer grünen
Strickjacke hinter dem Tresen und blickte durch eine beleuchtete Lupe auf
großformatige Dias. Als die Glocke beim Schließen der Tür erneut ertönte,
schaute er freundlich lächelnd auf, allerdings veränderte sich sein Gesicht
schlagartig, als er erkannte, wer da hereingekommen war. Er blickte seinen Besuchern
alles andere als einladend entgegen.
Bevor Leander etwas sagen konnte, berührte Lena wie beiläufig
seinen Arm, setzte ihr naivstes Sonntagslächeln auf – Leander wunderte sich
immer wieder aufs Neue, was sie alles in ihrem Repertoire führte – und trat auf
den alten Mann zu.
»Guten Morgen, Herr Hansen«, begann sie. »Draußen ist es heute
so ungemütlich, und ihr Geschäft sah so einladend aus, da dachten wir, wir
sehen uns einmal die Fotos an, von denen uns Eiken und Wilhelm Jörgensen
gestern Abend so vorgeschwärmt haben.«
Aber der alte Fuchs fiel auf ihre Schmeichelei nicht herein.
Mit unverändert versteinertem Gesicht blickte er sie wortlos an.
»Mein
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