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Leander und der tiefe Frieden (German Edition)

Leander und der tiefe Frieden (German Edition)

Titel: Leander und der tiefe Frieden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Breuer
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Storm-Novelle entstiegen in einem bequemen Ohrensessel direkt vor dem
Ofen und döste mit geschlossenen Augen. Leander ahnte, dass er auch heute
wieder nichts aus ihm herausbekommen würde. Offenbar hatte der alte Mann mit
seiner Umwelt abgeschlossen.
    »Wir stören«, bemerkte Leander, der sich wie ein Eindringling
vorkam.
    »Wehe, ihr geht wieder«, entgegnete Eiken mit gedämpfter
Stimme. »Ich langweile mich schon den ganzen Tag zu Tode.«
    »Das habe ich gehört«, grunzte der alte Jörgensen unvermittelt
mit tiefer Stimme.
    »Der hört nur, was er nicht hören soll«, polterte Eiken halb
belustigt, halb erbost.
    »Sagtest du nicht etwas von Punsch?«, erkundigte sich Lena, die
ihre Hände dicht über den warmen Ofen hielt und warmschubberte.
    »Natürlich, setzt euch.«
    Eiken holte Punschgläser aus einem Vitrinenschrank, füllte sie
mit einer Suppenkelle aus einem Topf, der auf dem Ofen stand, und reichte sie
ihnen.
    »Und Sie, Herr Jörgensen?«, ergriff Leander die Initiative.
»Stoßen Sie nicht mit uns an?«
    Wilhelm Jörgensen war plötzlich hellwach, grinste schelmisch
und hielt Eiken sein Glas hin.
    »Da hat er recht, das ist unhöflich.«
    »Alter Schwerenöter«, frotzelte seine Enkelin, »trinkt schon
den ganzen Tag lang Punsch. Das ist aber das letzte Glas.«
    »Lass mir wenigstens diese letzte Freude im Leben«, entgegnete
der alte Mann. »Wenn ich schon so wenig Spaß an meiner Enkelin habe. Der alte
Hinnerk scheint da mehr Glück gehabt zu haben.«
    Er prostete Leander und Lena zu, die ihre heißen Gläser in
beiden Händen hielten und vorsichtig kleine Schlucke daraus tranken.
    »Mein lieber Scholli«, wunderte sich Leander, »da ist aber
Musik drin.«
    »Mehr Köm als sonst etwas«, schimpfte Eiken mit einem
Seitenblick auf ihren Großvater. »Das warst du doch!«
    »Altes Hausrezept«, antwortete der grinsend. »Hat schon mehr
als ein Leben gerettet. Was anderes kommt mir nicht auf den Tisch.«
    Als Eiken wieder ansetzen wollte, fiel Leander ihr augenzwinkernd
ins Wort: »Nun seid mal friedlich. Heute ist Weihnachten, und schließlich müssen
wir uns deinen Großvater ja jetzt teilen.«
    »So isses«, stimmte der alte Mann zu und machte dabei wirklich
den Eindruck, als hätte er ein paar Gläschen zu viel getrunken.
    Eiken verstand den Wink und nahm sich augenblicklich zurück.
    »Erzählen Sie mir von meiner Großmutter«, sprach Leander den
alten Mann nun direkt an und hoffte, dass der nicht nur kurz für einen Punsch
aus seinem Wachkoma aufgetaucht war. »Über sie weiß ich gar nichts.«
    »Wencke«, murmelte Wilhelm Jörgensen, und seine Augen nahmen
wieder diesen fernen Blick an, als nehme er Kontakt zur Vergangenheit auf, so
dass Leander schon fürchtete, er bekäme angesichts der zeitlichen Distanz
nurmehr ein verklärtes Bild von seiner Großmutter.
    Aber genauso schnell, wie der alte Mann abgetaucht war, kam er
auch wieder in die Gegenwart zurück. Seine Augen klärten sich, und seine Stimme
nahm den alten festen Ton an.
    »Sie war schön. Nicht wirklich hübsch, aber schön, stark, mit
einem markanten Gesicht und hochgesteckten blonden Zöpfen. Und sie wusste
genau, was sie wollte. Auf Hinnerk hatte sie es schon abgesehen, als der sie
noch gar nicht wahrgenommen hat. Da hatten wir anderen alle keine Chance. Frag
mich nicht, warum, Junge, ich weiß es nicht. Und wenn Wencke sich etwas in den
Kopf gesetzt hat, dann hat sie es auch erreicht. An Sommersonnenwende hat sie
Hinnerk rumgekriegt. 1937 war das. Ein Jahr später haben sie geheiratet. Ihrem
Vater hat das gar nicht gepasst – hatte ja nichts, der Hinnerk. Das war die
schönste Hochzeit, an die ich mich erinnern kann. Ich war Trauzeuge von
Hinnerk, Wenckes Freundin Myrthe war ihre Trauzeugin. Myrthe – die lebt auch
schon lange nicht mehr.«
    »Was ist mit ihr geschehen?«, hakte Leander nach, der
selbstverständlich akzeptierte, dass der alte Mann ihn einfach duzte.
    »Sie war eigentlich nicht von hier. Sie kam aus dem Oldenburgischen,
aber schon als Kind. Weil sie keine Eltern mehr hatte, lebte sie lange Zeit in
einem der Kinderheime, die wir hier hatten; in welchem, weiß ich nicht mehr.
Wencke und Myrthe haben sich in der Schule angefreundet. Und als dann die Nazis
kamen, musste Myrthe weg.«
    »Warum musste sie weg?«, fragte Lena.
    »Sie war doch Jüdin«, fuhr der Alte leicht auf. »Das waren doch
jüdische Kinderheime hier in Wyk. Myrthe hat nach der Schulzeit als
Serviermädchen gearbeitet, und nach Wenckes Hochzeit

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