Leander und die Stille der Koje (German Edition)
so dass Baginski auch niemanden fragen konnte.
Der zweite Hof lag zwar am Deich, war aber ebenfalls ein ganz normaler Bauernhof und genauso menschenleer. Zu arbeiten schien auf den Höfen dieser Insel niemand. Also musste Heinz Baginski angesichts mangelnder Abzweigungen und Fortsetzungen umdrehen und den ganzen Weg zurückradeln.
Schließlich gelangte er an eine breite, asphaltierte Straße, die gemäß der Beschilderung links nach Wyk und rechts nach Oldsum führte. Heinz Baginski stieg vom Rad und blickte sich um. Lag der gesuchte Hof nun links oder rechts von seinem Standort? Ein kleines Holzschildchen am Straßenrand wies auf einen Radlerrasthof und damit auf eine willkommene Stärkung hin. Und vor allem gab es dort sicherlich Menschen, noch dazu Eingeborene, die er fragen konnte.
Er schwang sich wieder auf sein Rad und folgte den kleinen Wegweisern aus Holz, bis er an einer Abzweigung linker Hand einen etwas zurückliegenden Bauernhof entdeckte, der Abstellplätze für zahllose Fahrräder bot. Baginski lenkte seinen Drahtesel dorthin und kettete ihn an eine dafür vorgesehene Holzlatte. Die Ausrüstung und die Satteltaschen abzuschnallen, war etwas aufwändig, aber da er sein Fahrrad nicht direkt neben seinen Tisch stellen konnte, blieb ihm nichts anderes übrig.
Auf dem Hof standen mehrere Schützenfestgarnituren, wie er sie aus dem Ruhrgebiet kannte, wo man sie im Baumarkt für 79 Euro ergattern konnte. Gut besucht war der Radlerrasthof trotz des guten Wetters erstaunlicherweise nicht, aber die Hütte auf der linken Seite, in der man Kuchen und Getränke kaufen konnte, war geöffnet. Heinz Baginski bugsierte sein Gepäck umständlich durch die schmale Tür ins Innere des Häuschens. Links standen vier Tische mit Stühlen, vor sich machte er eine lange Theke aus, spartanisch zusammengezimmert, aber zweckdienlich. Dahinter hantierten ein Mann und eine Frau mittleren Alters mit Kuchentellern und Kaffeetassen in derart einschläferndem Tempo herum, dass sie für die Bedienung der drei Gäste, die vor ihnen standen, dieselbe Zeit brauchten wie Elli in seiner Stammkneipe Hängen im Schacht in Bottrop für eine ganze Busladung.
Auf einer selbst gebastelten, schwarz gestrichenen Holztafel las er, was es heute am Kuchenbüffet gab: Blechkuchen, Cappuccino-Torte und Friesische Apfeltorte. Letztere war durchgestrichen, also bereits ausverkauft. Der Blick auf die Auslage verriet, dass sich auch der Blechkuchen, ein gedeckter Aprikosenkuchen, seinem Ende zuneigte. Vom Rest der kuppelförmigen Cappuccino-Torte blieb nach der Bedienung der drei Gäste vor ihm nur noch ein letztes Stück. Baginski bestellte es. Während der Mann ihm das Tortenstück auf den Teller schob, umrundete die Frau die Theke und strich Cappuccino-Torte auf der Tafel durch. Baginski bestellte noch eine große Apfelschorle, die umständlich aus zwei Flaschen gemischt wurde, wobei sich der Umstand aus der Ungeschicklichkeit des Mannes ergab.
Baginski fand einen schönen Platz draußen im Schatten eines Pavillons und atmete tief durch. So eine Radtour war schon anstrengend, zumal es immer heißer wurde. Am Nebentisch unterhielten sich die drei Gäste von eben so leise, dass er nur den sächselnden Dialekt wahrnehmen, aber nichts verstehen konnte. Er genoss den Kuchen, der unerwartet gut schmeckte, und ließ die Apfelschorle durch seine Kehle strömen. Dabei hatte er das Gefühl, dass sie sogleich in seinen Adern versickerte. Die Austrocknungsgefahr durfte man einfach nicht unterschätzen. Demnächst würde er vorsichtshalber immer etwas zu trinken mitnehmen.
Nachdem Heinz Baginski aufgegessen hatte, streckte er die Beine aus, schloss die Augen und genoss die Wärme und das Vogelgezwitscher um sich herum. Dabei achtete er diesmal genau darauf, wann sich das verräterische Gefühl von Schwerelosigkeit näherte, denn eines wollte er hier und heute nicht riskieren: dass er wieder einschlief. Als er sich ausgeruht genug fühlte, erhob er sich von seiner harten Bank und brachte das Geschirr zurück in die Hütte. Die beiden hinter der Theke trockneten schweigend Teller und Tassen ab, und das taten sie so gründlich, wie sie vorhin bedient hatten. Jetzt war die Gelegenheit, sich nach dem Weg zu erkundigen.
»Entschuldigen Sie«, begann Baginski und blickte in offene Gesichter mit freundlichen und erwartungsvollen Augen. »Ich suche den Andelhof von Herrn Wiese. Dort soll man sehr gut fotografieren können. Wissen Sie, wo ich den finde?«
Dass Blicke so
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