Leander und die Stille der Koje (German Edition)
eine Lieferung Fleisch weiterverkauft hat, die mit Antibiotika belastet war. Rickmers soll da sehr unnachsichtig gewesen sein. Nach wahrer Freundschaft hört sich das für mich jedenfalls alles nicht mehr an.«
»Falls Arfstens geschäftliche Zukunft dadurch auf dem Spiel stand, wäre das ein starkes Motiv. Also behalten wir ihn auf unserer Liste an einer der obersten Stellen«, stimmte Lena zu. »Und Maarten Rickmers?«
»Verwöhntes Bürschchen, das sich wohl kaum ohne Not für ein Alibi mit den Eltern seiner Freundin anlegt und seine Flamme dadurch in Schwierigkeiten bringt. Das Schäferstündchen hat sich angeblich woanders abgespielt. Die Bestätigung erwarte ich aus dem Labor. Sollte allerdings die Spurenlage zeigen, dass Maarten Rickmers und Ariana Jeronski doch in der Vogelkoje waren, stehen sie natürlich als Verdächtige auf Platz eins. Dann ist nicht auszuschließen, dass Nahmen Rickmers sie erwischt hat und es zum Streit gekommen ist, denn die schöne Aussiedlertochter war, da unstandesgemäß, nicht nach Vaters Geschmack.«
»Gut, warten wir also. Was ist mit Mareen Olsen?«
»Undurchsichtig«, urteilte Bennings. »Sie macht einen unerschütterlichen Eindruck. Ob ihre Stellung allerdings noch gesichert war, nachdem ihr Verhältnis zu Rickmers beendet war, lässt sich nicht sagen. Frau Rickmers weiß angeblich nichts davon, also dürfte Frau Olsen jetzt auf der sicheren Seite sein und ihren Job behalten.«
»Paulsen?«
»Ähnlich undurchsichtig. Wir müssen die geschäftlichen Beziehungen überprüfen. Mir ist der Typ nicht koscher mit seinen Finanztransaktionen; er trägt mir etwas zu dick auf. Außerdem war er wohl der größte Konkurrent von Rickmers in der Jägerschaft mit rücksichtslosen Ambitionen. Ob er dafür über Leichen gehen würde, kann ich nicht einschätzen. Jedenfalls ist sein Weg jetzt frei, und damit hat er ein Motiv, wenn auch ein schwaches. Da müssen wir dranbleiben.«
»Bleibt noch Günter Wiese. Der Kampf scheint sehr ernst zu nehmen zu sein, immerhin hing Rickmers’ Karriereambition stark davon ab, und Wieses geschäftliche Zukunft scheint extrem durch Rickmers beeinflusst worden zu sein. Wie schätzen Sie diesen Wiese ein?«
»Das ist ein Besessener. Er ist von der Notwendigkeit seiner Arbeit so überzeugt, dass er dafür sein ganzes Leben einsetzt. Angenommen, Rickmers war durch Paulsen und Arfsten inzwischen so in die Enge gedrängt, dass er notgedrungen gegen Wiese härtere Bandagen anlegen musste, dann wären ein Treffen mit Wiese in der Vogelkoje und eine Eskalation des Gesprächs absolut denkbar. Immerhin steht da ein zukünftiger Karrieresprung gegen ein Lebenswerk. Für mich sind Paulsen, Arfsten und Wiese die am meisten versprechenden Fäden in diesem Geflecht.«
»Haben Sie schon mit dem zweiten Vorsitzenden des Vereins Elmeere gesprochen, diesem«, sie horchte einen Moment mit zur Decke erhobenem Blick dem Klang des Namens nach, den Eiken ihr vorhin genannt hatte, und konnte sich zum Glück auf ihr professionell geschultes Namensgedächtnis verlassen, »Melf Albertsen?«
Bennings schüttelte den Kopf. »Dazu sind wir noch nicht gekommen.«
»Gut, dann steht das morgen an.« Lena raffte die vor ihr liegenden Zettel zusammen. »Danke, Kollege. Ich nehme nachher alles mit, was Sie bis jetzt an Aufzeichnungen angelegt haben, und arbeite mich heute Abend ein. Morgen nehmen wir uns neben Albertsen dann auch Arfsten und Wiese noch einmal vor. Auf Paulsen setze ich jetzt gleich die Kollegen von der Wirtschaft in Kiel an, die sich mit den Möglichkeiten auskennen, seine Transaktionen unter die Lupe zu nehmen. Es würde mich wundern, wenn er nicht schon irgendwo auffällig geworden wäre.«
Sie griff zum Telefonhörer und wählte die Nummer ihres Vorgesetzten im LKA, schilderte kurz die Situation und bat ihn, sich mit der Abteilung für Wirtschaftsvergehen auseinanderzusetzen. Dann raffte sie die Akten zusammen, die Bennings ihr hinübergeschoben hatte, und klemmte sie sich unter den Arm.
»Und jetzt würde ich gerne den Tatort sehen.«
10
Heinz Baginski radelte wieder. Nachdem er lange überlegt hatte, ob sein Einsatz für die Naturfotografie es wert sei, sein Leben zu riskieren, hatte er erkannt, dass er unmöglich von nun an vor den Mördern dieser Welt im Allgemeinen und vor seinem im Speziellen versteckt leben konnte. Außerdem lebte er ja gewissermaßen immer gefährlich, wenn er an seinen Job in der Arbeitsagentur dachte und an die vielen frustrierten
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