Leander und die Stille der Koje (German Edition)
sich doch nun nicht mehr wie ein Verräter fühlen, aber zu weiteren Informationen ließ er sich nicht hinreißen.
»Warten Sie bitte einen Moment draußen, Herr Jörgens«, forderte Lena ihn auf. »Ich möchte mich von meinem Kollegen in Kenntnis setzen lassen und mir mit ihm noch einmal den Tatort genauer ansehen.«
Jörgens nickte und verließ sichtlich erleichtert den Raum. Lena ließ sich von Bennings genau schildern, wie er und seine Leute den Raum vorgefunden hatten und wie nach den Fotos die Leiche gelegen haben musste.
Als er von der merkwürdigen Position des Toten berichtete, horchte sie auf. »Sie glauben, jemand hat ihn so drapiert?«
»Davon müssen wir ausgehen, jedenfalls fällt niemand so merkwürdig um, wie Rickmers hier gelegen hat. Ich zeige Ihnen nachher die Fotos, die Hinrichs hier machen lassen hat.«
Lena blickte sich noch einmal in dem Raum um und wandte sich dann zur Tür. »Herr Jörgens, bitte zeigen Sie uns noch einmal die gesamte Kojenanlage und den Zugang, über den dieser Herr Baginski hier eingedrungen ist.«
Nach einer ausführlichen Führung durch den diensteifrigen Kojenwärter, die Lena einen gründlichen Überblick, aber keine weiteren Erkenntnisse brachte, beschlossen sie und Bennings, zurück in die Zentralstation zu fahren und sich noch einmal die Ergebnisse der KTU und die Fotos vorzunehmen.
Henning Leander hatte beim Strandkorbverleih am Wellenbad einen Korb in vorderster Reihe, also mit Blick direkt auf das Wasser bekommen und in seiner Begeisterung sofort für zwei Wochen gemietet. Die 78 Euro fand er zwar reichlich überteuert, aber nach Marktlage konnten die Vermieter im Sommer so viel nehmen. Dafür hatte er den Korb auch gleich aufgesucht und schon einmal die ersten zwei Stunden darin verbracht. Lena würde begeistert sein, denn der Blick über das Meer war unverbaut und glitt über einen Strandabschnitt mit wunderbar feinem, hellem Sand. Dazu befanden sie sich hier in unmittelbarer Nähe zum Café Aquamarin , was versorgungstechnisch ebenfalls nicht zu unterschätzen war.
Nachdem er ein wenig in der Wärme geschlummert hatte, beschloss Leander, nicht über die Promenade und den Sandwall zurückzugehen, sondern den Weg durch den Grünstreifen zu nehmen, da es dort schattiger war. Also überquerte er den niedrigen Schutzdeich links vom Wellenbad über eine Treppe und schlenderte am Minigolfplatz vorbei in Richtung Grünstreifen. Dort angelangt, hielt er sich rechts. Der Weg war schmal und der Waldboden relativ weich. Es war sehr angenehm, hier zu laufen, zumal Leander ein leichtes Brennen im Gesicht fühlte und froh war, aus der Sonne heraus zu sein. Morgen würde er sich besser eincremen.
Nach einigen hundert Metern erreichte Leander das Wildgehege an der Einmündung zur Feldstraße. Im Schatten der hohen Bäume standen Störche hinter dem Zaun zwischen künstlich angelegten Bachläufen. Als er sich dem Maschendraht näherte, wichen sie vor ihm zurück oder erhoben sich mit schweren Flügelschlägen in die Luft, um direkt wieder auf den Nestern hoch über seinem Kopf zu landen. Ein Hinweisschild zeigte ihm den Weg zu einem Unterstand, in dem Informationstafeln über die Arbeit des Vereins Elmeere aufklärten und über die Lage der bereits gekauften und renaturierten Flächen. Zusätzlich gab es eine Mattscheibe, auf der man nach Knopfdruck einen Film über den Verein sehen konnte. Als Leander jedoch den Knopf betätigte, tat sich nichts. Er wandte sich noch einmal den Infotafeln zu und suchte nach einer Adresse oder so etwas wie einem Impressum. Auf der letzten Tafel wurde er fündig. Weitere Auskünfte und eine Anmeldemöglichkeit für naturkundliche Inselführungen gab es in der Pension Friede in der Feldstraße.
Da es nur wenige Meter dorthin waren, beschloss Leander, sich gleich selbst ein Bild von Günter Wiese zu machen. Es konnte nicht schaden, Lena bei ihrer Arbeit zu unterstützen. Je eher der Mord aufgeklärt war, desto eher hatte sie Urlaub. Allerdings war ihm klar, dass er da sehr behutsam vorgehen musste, wenn er Lena nicht das Gefühl vermitteln wollte, sich in ihre Ermittlungen einzumischen, weil er an ihren Fähigkeiten zweifelte. Da war sie extrem empfindlich.
Die Pension Friede war ein stilvolles Gebäude in der für Inselbäder des ausgehenden neunzehnten Jahrhunderts üblichen Architektur. Die Fassade trug Jugendstilelemente, auch die braune Umrahmung der weißen Holzfenster passte dazu. Leander klingelte an der Haustür, obwohl sie weit
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