Leander und die Stille der Koje (German Edition)
abgeschossen werden, den ein benachbarter Landwirt mehrfach absichtlich dort hineingetrieben hat. Auf diese Art werden unsere Rückzugsräume sehr effektiv und nachhaltig gestört. Ich zeige Ihnen das mal vor Ort, wenn wir eine Rundfahrt über die Insel machen.«
»Wann würde es Ihnen denn passen?«
Günter Wiese zog zielsicher einen Gezeitenkalender aus dem Papierstapel und blätterte ihn auf. »Mal sehen. Morgen ist gegen 15.30 Uhr Hochwasser. Dann ist auf unseren Flächen richtig was los. Bei Niedrigwasser sind die Tiere draußen im Watt auf Nahrungssuche. Was halten Sie von dreizehn Uhr hier an der Pension? Ich kann Ihnen dann auf dem Weg zum Hof ein paar Dinge zeigen und erklären.«
»Ich werde hier sein«, versprach Leander.
In diesem Moment klingelte das Telefon, das an der Wand gleich neben dem Bildschirm hing. Wiese hob ab und meldete sich, lauschte dann einen Moment und sagte: »Ich komme. Zehn Minuten.« Er hängte wieder auf und wandte sich seiner Frau zu. »Eine verletzte Jungdohle. Wahrscheinlich von einem Auto angefahren. Ich muss kurz raus zur Auffangstation.«
Zu Leander gewandt erklärte er: »Ich habe meine Arbeit im Tierschutz mit einer Tierauffangstation begonnen. Bei Sturm waren immer ein paar Leute draußen am Deich und haben verölte Vögel eingesammelt. So habe ich auch meine Frau kennengelernt. Als Tierschützerin, meine ich, nicht als verölten Vogel. Obwohl …«
Er lachte und fuhr dann fort, als seine Frau ihn nur genervt anblickte: »Inzwischen haben wir keine Zeit mehr dafür. Die Tierstation leitet jetzt eine Tierärztin, aber wenn die nicht im Dienst ist, muss ich selber dahin und mich um gefundene verletzte Tiere kümmern. Bis morgen Mittag dann?«
»Bis morgen Mittag«, grüßte Leander zurück und sah zu, wie Günter Wiese den Autoschlüssel nahm und durch die Seitentür verschwand.
»So ist das immer hier«, seufzte Anna Wiese. »Wenn wir uns nicht um unsere Pensionsgäste kümmern müssen, ist mein Mann unterwegs und rettet die Welt. Abends zeigt er dann Filme über Elmeere und macht den Papierkram für den Verein.«
»Bewundernswert, dass Sie das so mittragen.«
»Wir haben den gleichen Antrieb, aber manchmal wünschte ich mir schon mehr Familienleben und Zeit für unsere beiden Kinder. Außerdem habe ich ja auch noch meine Parteiarbeit. Ich bin zwar nicht im Stadtrat, aber ich arbeite nebenbei für die Grünen.«
»Bei denen müssen Sie und Ihr Mann ja Stars sein«, vermutete Leander. »Bei dem Einsatz für die Natur.«
»Wenn Sie wüssten …!« Anna Wiese lachte bitter auf. »Wenn es nach meinen Parteifreunden ginge, wären mein Mann und ich schon nicht mehr zusammen. Die haben mich vor ein paar Jahren auf eine Art und Weise bedrängt, dass ich nicht mehr wusste, was ich machen sollte. Manchmal habe ich selbst schon geglaubt, dass mein Mann mit seiner Arbeit dem Umweltschutz mehr schadet, als er ihm nützt, weil er so kompromisslos ist. Aber dann habe ich begriffen, woher der Wind wirklich geweht hat. Der Filz hier auf der Insel ist stark und mächtig. Wenn eine Fraktion im Rat etwas erreichen will, darf sie es sich nicht mit den anderen Parteien verscherzen, vor allem, wenn es eine kleine Fraktion ist. Deshalb haben sich die Grünen hier dem Druck der Bauern und der anderen Parteien gebeugt.«
»Warum sind Sie dann noch dabei?«, wunderte sich Leander.
»Grüne Politik ist mehr als der Kleinscheiß, den die Inselköppe hier betreiben. Und vielleicht gelingt es mir ja auch irgendwann, die Richtung auf Föhr mitzubestimmen. Die Zweifler und Zögerer können nicht immer am Ruder sein, irgendwann sind die Progressiven und Mutigen dran, und dann bin ich zur Stelle.«
Leander bewunderte die Frau, der man gar nicht sofort ansah, wie hartnäckig sie sein konnte. Aber vielleicht musste sie auch so gestrickt sein, wenn sie es an der Seite eines Günter Wiese aushalten wollte.
Er verabschiedete sich und machte sich auf den Weg zur Wilhelmstraße. Bestimmt war Lena schon zu Hause und wartete auf ihn. Hoffentlich war sie nicht sauer über seine Eigenmächtigkeiten. Schließlich hatte er keinerlei rechtliche Funktion. Andererseits konnte ihm niemand verbieten, sich mit dem Naturschutz auf der Insel zu befassen.
Als Leander sein Haus betrat, hörte er Lena im Wohnzimmer mit Papier rascheln und ging zu ihr. Er setzte sich neben sie auf das Sofa. Auf dem Tisch lagen mehrere Akten, zum Teil aufgeschlagen, teilweise geschlossen. Außerdem hatte Lena Fotos ausgebreitet, auf
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