Leander und die Stille der Koje (German Edition)
aussieht. Aber die Anbaufläche, die direkt verloren geht, ist ja nicht das Einzige. Außerdem sind die angrenzenden Flächen auch davon betroffen. Wir werden in unserer Produktion unmittelbar geschädigt. Dazu kommt der Fraß durch die Gänse.«
»So viel werden die paar Vögel ja wohl nicht fressen, oder?«, wandte Bennings ein.
Arfsten schaute ihn mitleidig an. »Sie haben wirklich nicht den blassesten Schimmer, was? Kommen Sie, ich zeige Ihnen das vor Ort. So viel Zeit muss sein.«
Er stürmte aus dem Stall und steuerte seinen dunkelgrünen Range Rover an, der vor dem Wohnhaus stand. Lena und Bennings tauschten sich kurz aus und beschlossen, die Zeit zu investieren. Sie wollten sich ein möglichst umfassendes Bild verschaffen, wenn sie nun schon einmal hier waren. Also folgten sie dem Landwirt zu seinem Geländewagen. Lena setzte sich neben Arfsten auf den Beifahrersitz, Bennings stieg hinten ein.
Sie fuhren vom Hof aus durch die Marsch, an der Lembecksburg vorbei, von der nur noch der Ringwall als deichartige Erhebung in die Landschaft ragte, durch Süderende und von dort aus über die Hauptstraße in Richtung Oldsum. Irgendwann bog Arfsten in einen unbefestigten Wirtschaftsweg ab und hielt wenig später neben einem Maisfeld. Hier stiegen sie aus, sprangen über den schmalen Graben und machten ein paar Schritte in das Feld hinein. Arfsten deutete auf das Dach eines Bauernhofes in einigen hundert Metern Entfernung direkt vor dem Deich.
»Das da vorne ist der Hof von Günter Wiese«, erklärte er. »Dort wollte er einen Naturerlebnishof errichten. Das konnten wir zwar verhindern, aber seine Flächen hat er trotzdem unter Wasser gesetzt. Jetzt fallen da bei jedem Hochwasser, wenn es im Watt nichts zu fressen gibt, Unmengen von Vögeln ein. Die nisten da sogar in großer Zahl, und jedes Jahr werden mehr Tiere angezogen.«
Er bückte sich und deutete auf die Blätter des Getreides. »Sehen Sie das hier? Fraßspuren. Das machen die Gänse. Und jetzt schauen Sie sich mal um, Sie werden kaum eine Pflanze finden, die nicht angefressen ist. Weiter drüben, neben den Flächen von Elmeere , wird der Mais gar nicht erst so hoch, da fressen die Viecher die Jungpflanzen völlig ab. Können Sie sich vorstellen, was für ein Schaden das ist?«
Dann wandte er sich direkt an Lena und fuhr fort: »Letzten Herbst, als die Zugvögel in Scharen über die Insel hergefallen sind, haben wir Knallgeräte aufgestellt. Das ist das Einzige, was wirkt. Sofort hatte ich eine Anzeige am Hals, und Wiese hat über das Ordnungsamt ein Verbot erwirkt. Sollte ich noch einmal die Gänse mit einem Knallgerät vertreiben, muss ich hunderttausend Euro Strafe zahlen, und mir drohen bis zu fünf Jahre Gefängnis wegen des Verstoßes gegen das Bundesnaturschutzgesetz. Hunderttausend Euro, fünf Jahre Gefängnis! Nur weil ich meinen Besitz verteidige. Das ist doch Irrsinn!«
»Nein, das ist Gesetz, auch wenn es Ihnen nicht gefällt«, wandte Bennings ein. »Außerdem hatten Sie doch schon immer Gänse hier auf der Insel, vor allem während der Vogelzugzeiten im Herbst und im Frühjahr, oder nicht?«
»Ja, das hatten wir. Aber früher waren diese Mengen eben nur während der Vogelzugzeiten da. Und da hat es Ausgleichzahlungen für den Verlust durch Vogelfraß gegeben. Heute lockt Wiese sie während des ganzen Jahres an, sogar Arten, die es hier nie gegeben hat. Die Nonnengans zum Beispiel, die gab es drüben auf Eiderstedt, aber nicht hier. Das ist ein wunderschöner Vogel, zweifellos, aber hier ist er nur durch Elmeere . Und dass wir die Schäden bezahlen sollen und nicht die, die sie hergelockt haben, das ist doch gar nicht einzusehen.«
»Ist das alles, was Sie dem Verein vorwerfen können?«, hakte Lena nach.
»Reicht das nicht? Die kaufen alles Land auf, das sie kriegen können. Schauen Sie sich doch einfach mal um. Wohin Sie sehen, sehen Sie Felder und Weiden. Das war alles mal unsicheres Marschland hier. Wir Bauern haben es über Generationen hinweg entwässert und so den Bestand der Landwirtschaft gesichert. Wir haben sehr alte Rechte hier auf der Insel. Wenn Elmeere das Land jetzt wieder unter Wasser setzt, ist es verloren. Das kriegen wir nie wieder trocken, weil wir das nicht bezahlen können. Wir haben eine Aktion gestartet: Kein Bauernland für Elmeere . Aber was sollen die kleinen Landwirte denn machen, für die sich der Beruf nicht mehr lohnt? Wir aktiven Landwirte haben nicht genügend Geld, um all das frei werdende Land
Weitere Kostenlose Bücher