Leander und die Stille der Koje (German Edition)
lag eine stolze Sammlung an Ferngläsern sicher verstaut. Ein teuer aussehendes Glas reichte er Leander. »Hängen Sie es sich bitte gleich um. Das edle Stück ist eine Anschaffung, die man sich nur einmal im Leben gönnt. Allerdings sehen Sie damit unglaublich gut. Mit der Wippe auf der Oberseite stabilisieren Sie das Bild. Schauen Sie mal dort drüben, am Rande des Wassers. Wenn ich mich nicht irre, ist da eine Gruppe Alpenstrandläufer zu sehen.«
Am Rande der Wasserfläche, die eher wie ein Flussarm wirkte, stakste eine große Zahl Vögel durch den Schlick und pickte immer wieder Nahrung auf.
»Meinen Sie die braun-weißen Vögel mit den kurzen Schnäbeln?«, fragte Leander nach.
»Genau«, bestätigte Wiese, der nun ebenfalls durch ein Fernglas schaute. »Die Tiere haben braun-weiße Flügeldecken und einen schwarzen Bauch. Die Schnäbel sind tatsächlich kürzer als bei anderen Limikolen.«
»Limikolen?«
»Watvögel. Alpenstrandläufer halten sich nicht im tieferen Wasser auf, sondern in den Schlickzonen am Rand. Mit ihren langen Beinen waten sie durch den Schlamm und holen mit ihren röhrenartigen Schnäbeln ihre Nahrung heraus. Da drüben rechts ist übrigens ein Großer Brachvogel. Wir haben Glück, dass wir einen zu sehen bekommen.«
Leander schwenkte sein Fernglas nach rechts, musste aber, so ungeübt, wie er damit war, lange suchen, bis er einen großen, braunen Vogel entdeckte, der einen auffällig langen und nach unten gebogenen Schnabel hatte. Das musste er sein. Das Tier machte einen majestätischen Eindruck, wie es da durch das Wasser watete und in kurzen Abständen kleine und größere Futtertiere aus dem Schlamm heraufbeförderte.
»Bei Hochwasser sind viele Tiere in unseren Flächen«, erklärte Wiese. »Sie haben ja auch kaum noch Möglichkeiten, in Ruhe zu brüten, weil überall extensive Landwirtschaft betrieben wird.«
Vor Leanders Fernglas veränderte sich das Bild ständig. Vögel flogen weiter in die Fläche und verschwanden hinter hohem Gras, andere landeten in Gruppen oder ganzen Schwärmen. Es war jede Menge Leben in der Fläche. »Kein Vergleich zu den Weiden, die wir vorhin gesehen haben«, staunte er. »Wenn man hier einfach so durch die Marsch radelt und keine Ahnung hat, sieht man das gar nicht so.«
Günter Wiese war jetzt ganz in seinem Element und erklärte, ohne das Fernglas abzusetzen, ununterbrochen weiter. »Kampfläufer«, rief er plötzlich, und Leander musste sein Glas von den Augen nehmen und nachgucken, wohin Wieses Fernglas gerichtet war, um dann selber nach den Tieren suchen zu können.
»Die zerzausten Vögel da hinten?«
»Genau«, bestätigte Wiese. »Wenn die in der Balz umeinander herumspringen, ist das ein Schauspiel, dessen Dramatik Sie sich gar nicht vorstellen können. – Für meine Freunde und mich ist das hier unser Leben«, gestand Wiese. Er legte das Fernglas beiseite, startete den Wagen und fuhr wieder an. Wenig später bog er von der Asphaltstraße in einen unbefestigten Weg mit reichlich Schlaglöchern. Der Transporter wurde ordentlich durchgeschüttelt und mit ihm seine Fahrgäste.
»Hier können Sie den Unterschied zwischen den landwirtschaftlichen Flächen und unseren sehen. Links sind die intensiv genutzten Felder und Wiesen. Hier und da gibt es kleine Wasserstellen, die natürlichen Ursprungs sind und eigentlich unter Naturschutz stehen, weil sie die letzten Rückzugsräume für Amphibien auf Föhr darstellen. Die Bauern halten sich aber nicht an das Gesetz und pflügen jedes Jahr etwas mehr unter. Ist ja auch umständlich, immer um die Wasserlöcher herumpflügen zu müssen. Auf manchen Feldern sind die geschützten Senken schon komplett verschwunden. Und auf den Weiden lassen die Bauern ihr Vieh ungehindert alles zertrampeln.«
»Warum zeigen Sie die Landwirte nicht an, wenn Sie das sehen?«
»Weil ich nicht jede Kleinigkeit verfolgen kann. Außerdem habe ich schon genug Ärger und muss gut überlegen, welcher Kampf sich lohnt. Selbst meine Kräfte sind begrenzt. Stattdessen konzentriere ich mich lieber auf die Renaturierung. Dabei entstehen wirklich wertvolle Wasserflächen, nicht solche Tümpel, in denen ohnehin nicht mehr viel lebt. Sehen Sie? Die Flächen rechts gehören jetzt alle uns. Sie können erkennen, wie unterschiedlich sie schon ausgestaltet sind.«
Wiese hielt den Wagen mitten auf dem Weg vor einem Gatter an und stieg aus. »Kommen Sie.«
Er ging auf das Gatter zu und deutete auf einen Metallpfahl mit einer Platte
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