Leander und die Stille der Koje (German Edition)
wandte er sich an seine Besucher. »Wollen Sie, dass die Tiere ausbüchsen, oder was? Das ist eine Produktionsanlage hier und kein Streichelzoo.«
»Entschuldigung«, stammelte Lena beeindruckt. »Wir hatten ja keine Ahnung, dass …«
»Was? Dass Tiere bei mir frei gehalten werden? Das merkt man, dass Sie keine Ahnung haben.«
»Nun kommen Sie mal wieder runter«, ging Bennings dazwischen und blickte dem Landwirt angriffslustig in die Augen. »Es ist ja nichts passiert. Ihre Frau hat uns herübergeschickt.«
»Meine Frau!«, schnaubte Arfsten verächtlich. »Das sieht ihr wieder ähnlich.«
»Herr Arfsten«, übernahm Lena nun die Regie mit bestimmtem Ton, »ich nehme an, dass Sie eine Menge zu tun haben, wie wir übrigens auch, und dass Sie uns ungern nach Wyk auf die Wache begleiten wollen. Das kann Sie dann nämlich einige Stunden kosten. Deshalb schlage ich vor, dass Sie uns ab jetzt in einem anderen Tonfall begegnen, sonst wird Ihre Abwesenheit hier heute etwas länger ausfallen.«
Arfsten sah sie abschätzend an und schien dann zu beschließen, sie lieber beim Wort zu nehmen. Jedenfalls änderte sich sein zuvor wütender und arroganter Gesichtsausdruck allmählich in einen um Verständnis heischenden. »Was kann ich denn für Sie tun?«, erkundigte er sich, als habe es die aggressive Situation zuvor gar nicht gegeben.
Der ändert seine Maske, wie es ihm passt, dachte Lena und beschloss, diesem Mann grundsätzlich erst einmal gar nichts zu glauben und alles zuzutrauen. »Wir sind noch einmal wegen Ihres Alibis hier.«
»Ich weiß schon, Hilke, ich meine Frau Rickmers, hat Ihnen alles erzählt. Vielleicht ist es besser so. Es stimmt: Frau Rickmers und ich haben uns an besagtem Abend in meiner Feldscheune in der Godelniederung getroffen. Ich wollte sie dazu bewegen, ihren Mann zu verlassen und zu mir zu kommen. Sie wollte nicht. Der Abend ist dann aber doch noch etwas länger geworden.«
»Weiß Ihre Frau von Ihrer … Beziehung?«
»Nein. Und wie die Dinge liegen …«
»… muss sie das auch nicht«, vollendete Lena den Satz. »Andererseits ist Frau Rickmers jetzt ja frei.«
»Was wollen Sie damit andeuten?«, brauste der Bauer erneut auf und bestätigte damit Lenas Vermutung, dass es sich bei ihm um einen Choleriker handelte.
»Sie wissen, dass Sie nach wie vor zu unseren Verdächtigen gehören«, erklärte sie. »Ihr Alibi ist ausgesprochen wackelig. Vor Gericht wird es jedenfalls nicht unbedingt überzeugen, zumal Sie und Frau Rickmers uns nicht nur einmal angelogen haben. Aber darum geht es uns im Moment gar nicht. Wir sind hier, um uns vor Ort ein Bild von Ihrem Streit mit Günter Wiese und dem Verein Elmeere zu machen.«
Brar Arfsten betrachtete sie einen Moment lang schweigend, dann lenkte er ein: »Wurde aber auch Zeit, dass Sie sich um diese Spur kümmern. Gut, ich werde Ihnen zeigen, was das Problem mit diesen Spinnern ist. Kommen Sie.«
Er drehte sich um und schritt durch die Metallstangen voraus in die Mitte des Stalls. »Das ist die modernste Milchproduktion, die es heutzutage gibt. Nirgendwo in Europa werden Sie einen technischen Stand finden, der höher ist als bei mir.« Er deutete großzügig mit dem rechten Arm um sich. »Die Tiere bewegen sich innerhalb der Stallmauern nahezu völlig frei, lediglich gelenkt durch dieses System aus Stangen. Das ist mit den Boxenlaufställen von früher gar nicht mehr zu vergleichen. Den Tieren geht es hier besser als draußen auf der Weide. Sogar ihr Futter nehmen sie sich praktisch selber. Sehen Sie mal da rüber.«
Er deutete auf eine niedrige Gitteranlage, wie man sie früher zum Einfangen und zur Untersuchung und Impfung der Tiere auf den Weiden benutzt hatte.
»Das ist unser vollelektronischer Futter- und Melkstand. Jedes Rind hat einen Chip mit seiner Nummer am Ohr, der automatisch ausgelesen wird, wenn es in dieses Gatter geht und an der Futterluke fressen will. Wir können für jede Nummer die Futtermenge individuell per Computer steuern. Hat das Tier die vorher festgelegte Menge bekommen, wirft die Anlage nichts mehr raus. Auch die Zusammensetzung des Futters können wir so auf jedes Tier genau abstimmen. Gleichzeitig wird die Kuh gemolken. Der Transponder am Hals übermittelt dem Computer die genaue Lage der Euter, und der Melkroboter steuert sie per Laser zielgenau an. Jedes Tier wird auf die Art dreimal am Tag gefüttert und gemolken. Faszinierend, oder?«
»Für mich klingt das eher nach Science Fiction«, wandte Bennings ein.
Weitere Kostenlose Bücher