Leander und die Stille der Koje (German Edition)
»Nach natürlicher Haltung hört sich das jedenfalls nicht an. Und das soll für die Tiere so gesund sein wie das Leben auf der Weide?«
»Gesünder. Sehen Sie, wir mischen das Futter nach aktuellsten wissenschaftlichen Erkenntnissen. Da wird nichts dem Zufall überlassen, und die Tiere werden so mit allen Vitaminen, Mineralien und Spurenelementen versorgt, die sie gesund halten. Von kranken Tieren haben wir nichts, und Medikamente sind nicht nur für den Menschen gesundheitsschädlich, sondern sie sind auch für uns Milchbauern teuer. Unsere Technik verbindet die optimale Gesundheit der Tiere mit der optimalen Leistung. Vor zwanzig Jahren haben Ökospinner ihren Kühen klassische Musik vorgespielt und doch nicht mehr als viertausend Liter pro Kuh im Jahr erzielt. Wir verzichten auf diese Esoterik und erzielen mit unserer Technik inzwischen 9600 Liter im Schnitt. Das spricht ja wohl für sich. Und dabei ist die Milch so unbelastet und gesund wie nie zuvor. Wir produzieren unsere Milch ökonomisch, ohne dabei ökologische und artgerechte Erfordernisse außer Acht zu lassen – integriert ökologisch sozusagen. Nur so kann man auf dem Milchmarkt bestehen. Da herrscht nämlich ein beinharter Wettbewerb. Und viele Verbraucher trinken auch nicht mehr irgendwas, die fordern gesunde Milch. Mit unserer Technik sind wir dazu in der Lage, jedes Tier so zu fördern, dass es ihm gut geht und trotzdem den maximalen Gewinn verspricht. Wir kontrollieren bei jeder Kuh täglich die Futtermenge und die Milchleistung. Wenn es einem Tier nicht gut geht, merken wir das sofort und entziehen es dem Prozess, bis die Qualität wieder stimmt.«
»Und das funktioniert bei dieser Menge an Tieren?«, zweifelte Lena.
»Sehen Sie die Geräte, die die Kühe an den Beinen haben? Das sind Pedometer«, fuhr Arfsten mit seinem Vortrag unbeeindruckt fort. »Die messen das Bewegungsverhalten der Tiere. Wenn eine Kuh krank ist, bewegt sie sich weniger. Zusammen mit den anderen Leistungsdaten sind wir in der Lage, viel schneller zu reagieren und den Tierarzt zu rufen als früher, als die Kühe den Sommer über auf der Weide waren. Da haben wir oft tagelang nicht bemerkt, wenn einer Kuh etwas fehlte, und mussten am Ende Antibiotika verabreichen, um sie zu retten. Viele Landwirte setzen heute zur Prophylaxe Breitbandantibiotika ein, um so Erkrankungen vorzubeugen. Den ganzen Dreck nehmen die Konsumenten dann mit der Milch zu sich und wundern sich, dass Allergien und Antibiotika-Resistenzen bei uns Menschen zunehmen. Wir brauchen das alles nicht.«
Lena war sich nicht sicher, was sie von dem halten sollte, was sie hier sah. »Benötigen Sie gar kein Personal mehr auf Ihrem Hof?«, wunderte sie sich, weil sie außer Brar Arfsten bislang keine Menschenseele in der Stallanlage gesehen hatte.
»Natürlich habe ich Hilfskräfte zum Ausmisten und zwei hochqualifizierte Mitarbeiter im Kontrollraum an den Monitoren«, erklärte der Landwirt stolz.
»Wie viele Tiere haben Sie eigentlich?«, beteiligte sich nun Bennings an dem Gespräch.
»Momentan haben wir in diesem Stall hundertfünfzig Milchkühe. Mehr schafft so eine Anlage nicht. Ich plane aber eine zweite, so dass ich im kommenden Jahr bis zu dreihundert Milchkühe unter optimalen Bedingungen bei optimaler Leistung halten werde. Dazu kommen die Zuchtbullen, also insgesamt etwa dreihundertfünfzig Tiere, und natürlich die Rinder für die Fleischproduktion, die ich in einem weiteren Stall halte.«
»So viele Viecher machen doch bestimmt jeden Tag eine ganze Menge Mist«, vermutete Lena. »Ich habe draußen nirgends einen Misthaufen oder eine Güllegrube gesehen.«
»Heutzutage sind Gülle und Mist Wertstoffe«, erklärte Brar Arfsten. »Daraus produzieren wir in der Biogasanlage hinter den Stallungen einen großen Teil der Energie, die wir hier benötigen. Vervollständigt wird das durch zwei Windkraftanlagen und die Sonnenkollektoren auf den Dächern. Im Winter müssen wir kaum Energie zukaufen, im Sommer produzieren wir Überschuss und verdienen zusätzlich durch die Einspeisevergütung.«
»Mit so viel Technik könnten Sie doch sicher auch die Zucht optimieren, so eine Art Lebensborn für Milchkühe«, spottete Bennings und fing sich dafür einen vernichtenden Blick von Arfsten ein.
»Das machen wir schon, Herr … – Entschuldigung, ich habe Ihren Namen verdrängt.«
»Bennings.«
»Herr Bennings«, fuhr Arfsten fort. »Genau das machen wir schon. Allerdings liegt dem keine widerwärtige
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