Leaving Paradise (German Edition)
befingere die neuen Sachen, die Mom mir gekauft haben muss. Was hat sie sich nur dabei gedacht? Meine TShirts und Sweatshirts sind alle verschwunden. An ihrer Stelle hängen nerdige, gebügelte Button-down-Hemden in einer Reihe – fast wie Soldaten beim Appell. Auf den Regalbrettern, gefaltet wie bei Gap, liegen gebügelte Hosen in verschiedenen Farbabstufungen.
Ich nehme eine und halte sie mir an. Sie ist viel zu klein. Wann wäre ein guter Zeitpunkt, ihr zu eröffnen, dass ich nicht mehr der dürre Junge bin, der früher hier gelebt hat? Ich habe im vergangenen Jahr jeden Tag Sport gemacht, um Dampf abzulassen und mir Typen wie Alvarez vom Leib zu halten. Muskeln wiegen nicht bloß mehr, sie verändern deine körperliche Struktur vollkommen.
Ich setze mich an meinen Schreibtisch, gucke aus dem Fenster und riskiere einen Blick auf das Haus der Armstrongs. Mein Fenster liegt Maggies Zimmer genau gegenüber.
Maggie Armstrong.
Das Mädchen, das ich laut Gerichtsurteil zum Krüppel gemacht habe.
Okay, ich weiß, dass es unfair ist. Aber es ist schwer, das Bedürfnis zu unterdrücken, ihr die Schuld zu geben. Wenn sie nicht wäre, hätte man mich nicht eingesperrt. Ich habe im letzten Jahr öfter über Maggie und die Ereignisse, die zu dem Unfall geführt haben, nachgedacht, als ich wahrhaben möchte.
»Caleb, bist du da drin?«, fragt Dad und klopft.
Es ist einfach großartig, wenn Leute anklopfen. Ich habe seit einem Jahr kein Klopfen mehr gehört. Ich mache die Tür auf und bedeute ihm hereinzukommen.
Mein Dad betritt das Zimmer und ich schließe die Tür hinter ihm. Er hat noch immer eine Matte aus vollem dunklem Haar und einen sorgfältig gestutzten Schnurrbart. Er ist okay als Dad, aber ein totaler Waschlappen, wenn es darum geht, sich gegen Mom zu behaupten.
»Deine Mutter hat ein paar ihrer Freunde zum Essen eingeladen.« Er zögert, dann fügt er hinzu: »Für eine, äh, Willkommensparty.«
In meinem Nacken beginnt sich ein Knubbel zu bilden. Ich massiere die Stelle. Eine Willkommensparty für einen Sohn, der gerade aus dem Knast entlassen wurde? Unfassbar. »Blas sie ab«, sage ich.
Die Adern an seinem Hals werden dicker und nehmen ein seltsames Violett an. »Hör zu, es ist das, was deine Mutter will. Sie hat dieses Jahr eine Menge durchgemacht, während du im Gefängnis warst. Tu einfach, was sie will, und zieh eine Show für ihre Freunde ab. Es wird für alle viel leichter sein, wenn du mitspielst.«
»Eine Show?«
»Ja, pflastere dir ein Lächeln aufs Gesicht und unterhalte die Frauen ihres kleinen Clubs. Das mache ich ständig«, sagt er. Dann verlässt er mein Zimmer so schnell, wie er es betreten hat.
Ich brauche ein paar Sekunden, bis bei mir angekommen ist, was er gerade gesagt hat. Lächeln? Show? Ich komme mir vor, als hätte man mich zu einem Hollywoodset gekarrt. Aber das hier ist kein Film, es ist mein Leben.
Ich nehme das Lichtschwert in die Hand und schalte es an. Lasergeräusche erfüllen den Raum, als ich den Säbel wie ein großer Jediritter schwinge. Gott, als ich noch ein Kind war, habe ich Stunden damit verbracht, mich mit eingebildeten Dämonen zu duellieren.
Jetzt habe ich neue Dämonen, die es zu bekämpfen gilt.
Solche, die ich nicht einfach durch das Schwingen eines Spielzeugs verschwinden lassen kann.
4 Maggie
»Maggie, guck mal, was ich dir gekauft habe.« Meine Mom steht am Abend an meiner Zimmertür und hält ein Paar Hosen aus rosa Velours und eine dazu passende Jacke mit Reißverschluss hoch. »Die Frau im Laden hat gesagt, das würden die jungen Mädchen grad tragen. Es ist sehr, sehr hip.«
»Niemand sagt mehr hip.«
»Angesagt?«
Ich nehme ihr die Sachen ab. Es ist ein Set von Juicy Couture , total weich und kein Vergleich zu meinen Klamotten von Wal-Mart. »Mom, das muss dich über hundert Dollar gekostet haben. Es ist total angesagt , aber wir können es uns nicht leisten.«
»Mach dir keine Gedanken wegen des Geldes«, sagt sie und wischt meine Bedenken mit einer Handbewegung beiseite. »Ich habe ein paar Überstunden im Diner gemacht und deshalb diesen Monat etwas Extra. Außerdem geht am Montag die Schule los und ich möchte, dass du etwas Hippes, Angesagtes oder was auch immer hast. Probier es mal an.« Mom vollführt ein aufgeregtes, kleines Tänzchen, während sie wartet.
Ich hatte gehofft, dass sie zur Arbeit gehen würde, damit ich Sabrina anrufen und ihr sagen könnte, dass ich nicht mit auf die Party komme. »Mom, es ist schon halb
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