Leb wohl, Schlaraffenland: Die Kunst des Weglassens (German Edition)
sind etwa 60 Kilometer. Das Angebot war eher außergewöhnlich, nicht wahr? Solcheungeplanten Begegnungen wären nicht möglich, wenn ich mit meinem Auto unterwegs wäre. Übrigens wäre ich mit der Bahn am genannten Abend schneller in Wien gewesen. Aber das ist egal.
Clemens G. Arvay: Deine große Leidenschaft des Motorradfahrens ist dir ja nach wie vor geblieben. Hat sich an deiner Art und Weise, mit dem Motorrad unterwegs zu sein, etwas geändert?
Roland Düringer: Ich fahre jetzt prinzipiell anders Motorrad als früher, das stimmt. Ich fahre nämlich wirklich langsam. Und wenn ich jetzt „langsam“ sage, dann meine ich das auch so. Das Motorrad ist für mich ja kein Werkzeug, das meiner Mobilität dient. Ich fahre nicht, um von A nach B zu kommen, um also mobil zu sein, sondern deswegen, weil mir das Motorradfahren an sich große Freude bereitet. Es hat für mich sogar etwas Meditatives, weil es mich mit allen Sinnen ins Hier und Jetzt holt. Ich sauge dabei die Landschaft förmlich in mich ein.
Früher sah ich beim Motorradfahren nur einen grauen Strich vor mir – den Asphalt der Straße. Nach diesem Strich richtete ich mich und sah zu, die Strecke einigermaßen geschmeidig und flott hinter mich zu bringen. Ich würde wohl auch nicht mehr Motorrad fahren, wenn nicht auch meine Frau Regine gerne Motorrad fahren würde.
Jetzt fahre ich am liebsten mit alten, relativ schwachen Motorrädern, zum Beispiel mit einer XT 500, die ich schon als Jugendlicher hatte. Das ist ein Motorrad aus den Siebzigern und Achtzigern mit 30 PS. Höchstgeschwindigkeit: 120 Stundenkilometer! Mit 80 Stundenkilometern kommt man sich damit schon schnell vor. Ich tauche dabei, abseits der Hauptstraßen, in die Landschaft ein, lasse mich von derUmgebung verzaubern und teile den Wind. Zwischen den Beinen brennt dabei ein Feuer: Es sind die Explosionen im Verbrennungsraum. Das ist ein richtiger Trip. So etwas kann man jemandem, der nicht Motorrad fährt, nur schwer erklären.
Wenn ich einem Menschen, der nicht Motorrad fährt, den Reiz des Motorrads zu erklären versuche, ist das etwa so, als käme diese Person mit Verspätung auf eine Party, die schon in vollem Gange ist. Alle Gäste sind bereits angetrunken und lustig, aber der, der zu spät kommt, versteht nicht, was denn da so lustig ist, und kann nur den Kopf schütteln. Man müsste erst in demselben Zustand sein wie diejenigen, die schon seit Stunden Party machen. Dann könnte man es besser verstehen.
Beim Motorradfahren tauchst du in die Landschaft ein, tauchst durch sie hindurch. Im Auto hingegen zieht sie tatsächlich an dir vorbei wie in einem Fernsehgerät. Man sitzt also im Auto quasi vor einem Bildschirm. Auf dem Motorrad aber bist du im Freien. Du bist dabei also frei, fühlst die Luft, die Temperaturunterschiede, nimmst die Gerüche wahr. Du bewegst dich durch Gegenden, in die du mit dem Auto nicht gelangen würdest, weil es dich nicht interessiert, dorthin zu fahren.
Vorige Woche zum Beispiel war ich mit meiner Frau zwei Tage im oberösterreichischen Mühlviertel und wir fuhren dort 700 Kilometer durch das Land, nur auf kleinen Straßen und Wegen. Wir sahen uns das Mühlviertel an und es war so ähnlich, wie man es früher zu Pferde tat, nur eben um eine Spur schneller.
Kommunikation
Soweit ich mich erinnere, war das zweite Ding, das ich im Rahmen meines Experiments „Gültige Stimme“ wegließ, mein Mobiltelefon.
Kommunizieren ist ein wichtiger Teil des Lebens. Dass Menschen miteinander kommunizieren, macht Sinn. Ich kommunizierte schon immer gerne: mit Menschen in unserer Straße, im Park oder auch in Gebäuden. Es wurde stets viel geplaudert, bei uns am Gang in dem Wohnhaus, in dem ich aufwuchs. Wir hatten ein Zimmer mit Fenster zum Flur und da wurde den ganzen lieben Tag lang getratscht. Vielleicht waren es keine hochinteressanten Inhalte, die besprochen wurden, aber man kommunizierte eben miteinander, tauschte sich aus und unterhielt sich über die Vorgänge im Haus oder über Neuigkeiten.
Heutzutage haben Wohnungen keine Gangfenster mehr und man meidet das Treppenhaus, das oft nur mehr ein dunkles Loch ist und den Übergang vom eigenen Loch in das „Aufzugloch“ darstellt. Man verschwindet, aus der eigenen Wohnung kommend, im Lift und hofft, dass man darin möglichst niemandem begegnet, mit dem man dann sprechen müsste. Manchen ist es regelrecht peinlich, wenn sie in den Aufzug einsteigen und dann ist dort jemand, der mitfährt. Danach verschwindet
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