Lebe deine eigene Melodie
Schlaf einfielen, als wäre man damit vor dem Alter gefeit. Nichts gegen Bewegung und all die anderen Ratschläge und kosmetischen Hilfen, die man als Älter-Werdender bekommt. Und umgekehrt nichts gegen diejenigen, die dem Sport entsagen und sich hässlich machen, weil sie finden, dass nichts gegen das Altern hilft. Irgendwie haben sie ja auch gnadenlos recht. Aber sie täuschen sich auch, denn sie verpassen unzählige Momente der Schönheit. Entscheidend scheint mir, dass es der Geist ist, der sich den Körper formt. Damit ist die Schönheit gemeint, die das Ergebnis einer inneren
Haltung ist, die nach außen strahlt. Was wir innen erspüren und erleben, wird auch äußerlich sichtbar. Und was wir ersehnen, ist letztlich, einen Zipfel vom Glück zu erhaschen, der mit der Schönheit verbunden ist. Das klingt vielleicht ein wenig nach 19. Jahrhundert, da man seine Seele kultivierte, um schön zu sein. Aber dieser Gedanke ist auch nicht dümmer als der an unseren krampfhaften Körperkult.
»Oma geht online«
Dieser Zeitungstitel ließ mich aufhorchen, erinnert er doch an die Zeit, als ich selbst langsam anfing, mich mit diesem neuen Medium abzuplagen. Vielleicht gehört das zu den Widersprüchlichkeiten des Lebens, dass man ausgerechnet dann, wenn man meint, alle Eintrittskarten für diese Gesellschaft erworben zu haben, besonders viel leisten und noch einmal dran muss. Drücken gilt nicht, erklärte der Fachmann. Und Angst haben vor diesen fremden Dingern schon gar nicht. Außerdem sei das Internet ein fabelhaftes Medium. Und diese Briefe, die man jetzt im Sekundentakt um den Globus schicken könne, auf diese Idee kann nur ein Heiliger oder ein Gott gekommen sein, der es wirklich gut mit uns meint, fand er.
Dabei hatten wir uns gerade mit diesen entspannenden Gedanken angefreundet, wenn wir fünfzig Jahre lang technische Nieten waren, dann sind wir es eben. Wenn wir moderne Malerei nicht mögen, dann bekehrt uns jetzt auch keiner mehr. Nicht mal mehr die »Buddenbrooks« oder den »Zauberberg« müssen wir zu Ende lesen, da wir bisher ohnehin stets auf Seite dreißig steckenblieben. Nun ist es eben zu spät. Und wenn man bisher nicht kapiert hat, wie man spanische unregelmäßige Verben konjugiert, dann erwartet es mit sechzig auch keiner mehr. Tempi passati! Wir sind nun mal, wie wir sind. Endlich dürfen wir Herausforderungen und Chancen ignorieren. Glücklicherweise sind die meisten unserer Freunde auch älter geworden und verstehen auch nicht besonders viel von Computern. So brauchen wir uns nicht dumm zu fühlen, die anderen sind es ja auch. Also verzeihen wir uns gegenseitig unser Scheitern. Die Welt muss uns nehmen, wie wir sind. Basta!
Neu ist, dass wir im Alter nicht mehr weiter basteln müssen an unserer Biographie, keine zusätzlichen Beweise unserer Existenzberechtigung abzuliefern haben, wir dürfen uns dem Endgültig-Werden unserer Person stellen. Jetzt sind wir endlich ganz geboren. In unserer Innenwelt sind wir zwar immer noch ungehemmt zehnjährig, zwanzigjährig, fünfzigjährig – alles auf einmal. Sich gänzlich der »vita contemplativa« hinzugeben, das wird man sich sicher auch in den kommenden Jahren nicht wünschen. Hin und wieder ein Nickerchen oder ein paar Geschichten, die man eben immer wieder gern erzählt, das reicht in dieser Richtung.
»Ich habe die Scheu vor diesen Biestern verloren«, sagte eine Großmutter zu ihren Enkeln, die sie seither Cyber-Omi nennen. Wie sie, gehen die meisten heute selbstverständlich und sogar souverän mit diesen neuen Medien um, obwohl die Zeit gar nicht so weit zurückliegt, dass wir mit Füllfedern, Kugelschreibern, Schreibmaschinen allmählich von der schreibenden zur Tasten drückenden Hand mutierten. Irgendwann waren wir plötzlich drin in der neuen Wunderwelt, tauschten Disketten aus und stolperten ängstlich gläubig in die neue Zukunft. Googeln? Recherchen? Kochrezepte? Wetterbericht? Irgendwie rutschten wir hinein in dieses neue Kapitel. Und irgendwann gehörten wir dazu: E-Mail? No problem. Bestellungen und Einkäufe? Na klar. Flugtickets? Ja und ob. Es war zwar viel von all dem Neuen, und es wird immer mehr zu viel. Aber E-Mails sind zu üblichen Alltagsgewohnheiten geworden. Die freie, lockere Form, die Nonchalance gegenüber Rechtschreib-, Grammatik- und Zeichensetzungsnormen hat sich durchgesetzt. Mails werden oft unüberprüft durch sorgfältiges Durchlesen abgeschickt. Man setzt sich nicht mehr mit Formulierungen auseinander, das
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