Lebe die Liebe
abgrundtief traurig, als er Diana ansah. »Sie hat mir über meine Mutter heimlich einen Brief zukommen lassen. Als sie an jenem Abend nach Hause kam, war sie immer noch wütend auf mich. Ihr Vater stellte sie zur Rede, und sie hat ihm alles erzählt. Er muss völlig den Verstand verloren haben, als er hörte, dass das mit uns immer noch ging. Er hat sie geschlagen, angeschrien und schließlich sogar gedroht, uns beide zu töten, wenn sie nicht endlich zur Vernunft komme. Beth war so durcheinander, dass sie ihm die Drohung geglaubt hat.«
Chad strich sich mit den Händen über die Stirn. Er musste tief durchatmen, bevor er weitersprechen konnte. »Als ihre Mutter nach Hause kam, war Beth beinahe hysterisch vor Angst. Ihr Vater erfand die Geschichte mit der Vergewaltigung und rief die Polizei. Nachher hat ihre Mutter sie dann ins Krankenhaus gefahren.«
»Wo ist der Brief?«
»Ich hab ihn zerrissen und durch die Toilette gespült, damit man ihn nicht bei mir fand.«
»Sollte Beth Ihnen noch einmal schreiben, geben Sie mir den Brief bitte sofort.«
»Sehen Sie, ich will nicht, dass man ihr noch mehr antut.« Chad streckte die Hände aus und sah Diana flehentlich an. »Als die Polizisten kamen, war ich zu Tode erschrocken, und als ich dann erfuhr, was man mir vorwarf, hab ich zuerst sogar geglaubt, Beth hätte das mit Absicht gemacht, um mich zu strafen.« Er lehnte sich zurück und straffte die Schultern. »Jetzt weiß ich, wie alles gekommen ist, und ich muss Beth schützen. Die paar Jahre Gefängnis werde ich wohl auch überstehen.«
»Gefällt es Ihnen hier etwa so gut, Chad?« Diana schob ihren Notizblock beiseite und sah ihn eindringlich an. »Ihre Zeit hier ist ein Luxushotel im Vergleich zum Staatsgefängnis, in das Sie dann gebracht werden.«
»Es wird ja nicht für ewig sein.«
»Chad, reden Sie keinen Unsinn. Denken Sie doch auch einmal daran, wie Beth sich fühlen wird, wenn sie weiß, dass Sie unschuldig hinter Gittern sitzen. Wollen Sie etwa zwanzig Jahre Ihres Lebens einfach wegwerfen, und meinen Sie, Beth würde so lange auf Sie warten?«
Diana spürte, dass sie allmählich in Panik geriet, als ihre Worte bei dem Jungen offenbar auf taube Ohren stießen. »Und was ist mit dem Vater von Beth? Wollen Sie den etwa ungeschoren davonkommen lassen? Chad, Sie erwartet eine Anklage wegen Vergewaltigung. Ist Ihnen das klar? Die Höchststrafe ist lebenslänglich.«
Allmählich sah sie eine Reaktion im Gesicht des jungen Mannes. Jetzt durfte sie nicht nachlassen, musste ihn auf jeden Fall umstimmen. »Sie werden in den Zeugenstand gerufen, Chad, und Beth ebenso. Sie müssen beide dem Gericht in allen Einzelheiten schildern, was vorgefallen ist. Können Sie das – bei einer Straftat, die Sie gar nicht begangen haben?«
»Aber wenn ich mich von vornherein schuldig bekenne …«
Diana griff nach ihrem Notizblock und legte ihn wieder in den Aktenkoffer. »Wenn Sie unbedingt den Helden spielen wollen, weil Ihre Freundin Angst vor ihrem Vater hat, dann werden Sie sich einen anderen Anwalt suchen müssen. Ich verteidige keine Dummköpfe.«
Sie wollte aufstehen, aber da griff Chad plötzlich nach ihrem Arm. »Ich will ihr doch nur nicht noch mehr wehtun, verstehen Sie das doch. Sie ist so durcheinander und weiß nicht, was sie tun soll.«
»Wenn Beth Sie wirklich liebt, Chad, dann muss sie ihre Angst überwinden und gegen ihren Vater aussagen.«
Seine Finger gruben sich in ihren Arm. »Sagen Sie mir, was ich tun soll.«
Endlich ließ die Spannung in Diana nach. Sie atmete tief durch. »Also gut«, sagte sie und setzte sich wieder.
Als Diana eine Stunde später wieder ins Büro zurückkam, war sie ziemlich erschöpft.
»Sie sehen aus, als könnten Sie einen starken Kaffee gebrauchen«, sagte Lucy nach einem Blick in Dianas Gesicht.
Sie versuchte ein Lächeln. »Sieht man mir das an?«
»Warten Sie, ich brüh schnell welchen auf.« Bevor Lucy aufstehen konnte, klingelte wieder das Telefon.
»Schon gut, ich mache das«, sagte Diana und ging in die kleine Küche. Sie sah immer noch Chads blasses Gesicht vor sich.
Während sie ihren Mantel über einen der Stühle legte, versuchte sie sich vorzustellen, in welcher Verfassung Beth jetzt war. Es gab für Diana keine Möglichkeit, an das Mädchen heranzukommen, solange der Prozess nicht eröffnet war. Sie musste abwarten, bis Chad und Beth sich im Gerichtssaal zum ersten Mal wieder gegenüberstanden.
Mit beiden Händen massierte sie ihren schmerzenden Nacken
Weitere Kostenlose Bücher