Lebe lieber innovativ
Ballonangioplastie, ein viel ungefährlicherer und weniger invasiver Eingriff, erstmals vorgestellt wurde, begegneten die
Ärzte ihr mit ungeheurer Skepsis und Ablehnung. Das galt vor allem für jene Chirurgen, die »am besten wussten«, wie man diese Erkrankung behandelt. Plötzlich standen die Pioniere des neuen Verfahrens vor enormen Hürden. Für John Simpson, einen der Erfinder der Ballonangioplastie, endete die Sache damit, dass er die Universität verlassen musste, um seine Forschungen an einer privaten Klinik weiterzuführen. Mit der Zeit konnte die Effektivität der Ballonangioplastie jedoch klar nachgewiesen werden und der Eingriff wurde zur Standardbehandlung für die meisten Patienten mit Arterienverstopfung. Das ist ein großartiges Beispiel für einen Problemfall, in dem man so stark auf die gängige Verfahrensweise festgelegt war, dass die unmittelbar Betroffenen sich gar nichts anderes vorstellen konnten.
Eine solche »Problem-Blindheit« tritt aber auch bei der Entwicklung von Produkten für Endverbraucher auf. So wurde zum Beispiel ausführlich dokumentiert, wie einst Geldautomaten bei potenziellen Kunden in Fokusgruppen im Test durchgefallen sind. Die potenziellen Nutzer wurden gefragt, ob sie auch einen Automaten benutzen würden, um Geld von ihren Konten abzuheben oder darauf einzuzahlen, anstatt dazu zum Bankschalter zu gehen. Die befragten Kunden konnten sich überhaupt nicht vorstellen, die gängige Vorgehensweise derart zu verändern. Im Nachhinein betrachtet, sind Geldautomaten jedoch eine radikale und effektive Verbesserung bei der Abwicklung unserer Bankgeschäfte, die sich kaum noch jemand aus seinem Alltag wegdenken kann.
Ich selbst war auch schon einmal »Problem-blind.« Vor etwa 15 Jahren schenkte mein Ehemann Mike mir ein Handy. Das war lange bevor Handys allgegenwärtig wurden und ich hatte überhaupt keine Ahnung, dass ich eines brauchte. Ich
reagierte sogar leicht gereizt und dachte, es sei nur wieder eine technische Spielerei, die ungenutzt in der Ecke liegen bleiben würde. Doch Mike drängte mich, es zumindest eine Woche lang auszuprobieren. Nach nur zwei Tagen wusste ich, dass ich ohne das Handy nicht mehr leben konnte. Damals verbrachte ich mindestens zwei Stunden täglich im Pendlerverkehr und konnte nun während der Fahrt meine Freunde und Kollegen telefonisch erreichen. Später war ich Mike sehr dankbar für das Geschenk. Seitdem versuche ich, immer an diese Erfahrung zurückzudenken, wenn ich neue, potenziell bahnbrechende Ideen beurteile.
Der Schlüssel zur Bedarfsermittlung liegt darin, Defizite zu erkennen und aufzufüllen. Das können Lücken in der Art und Weise sein, wie Menschen Produkte verwenden, Schwachstellen bei vorhandenen Dienstleistungen oder Probleme im täglichen Leben. Ich hatte einmal die Chance, mit Michael Barry zu sprechen, einem Fachmann für Bedarfsermittlung, der bei dem Beratungs- und Design-Unternehmen Point Forward arbeitet. Er erzählte eine grandiose Geschichte von seiner Arbeit mit Kimberly-Clark , dem Hersteller von Kleenex ®- und Scott ®-Papiertüchern sowie von Huggies ®-Windeln. Im Wesentlichen war die Firma Kimberly-Clark von dem Verkauf ihrer Windeln im Vergleich zu dem des Windel-Riesen und Pampers -Herstellers Procter & Gamble enttäuscht. Um herauszufinden, wie der Umsatz im Windel-Geschäft verbessert werden könnte, zog das Unternehmen Michael und seine Kollegen hinzu. Sie stellten gründliche Beobachtungen darüber an, wie die Vermarktung von Windeln bei Kimberly-Clark funktionierte, bewerteten die Slogans auf den Windel-Packungen und führten Interviews mit Eltern. Dabei fiel Michael auf, dass das Unternehmen sein Ziel komplett verfehlte: Das Unternehmen vermarktete
Windeln so, als ob es sich um Hilfsmittel für die Entsorgung von Sondermüll handelte. Für Eltern ist eine Windel etwas ganz anderes: Mithilfe einer Windel können sie dafür sorgen, dass sich ihre Kinder wohlfühlen. Windeln gehören in der frühen Entwicklungsphase eines Kindes einfach dazu. Obendrein gilt eine Windel auch als Kleidungsstück. Diese Beobachtungen lieferten einen großartigen Ansatzpunkt, um die Vermarktung und Positionierung von Huggies ® zu verbessern. Nach weiterer eingehender Untersuchung sah Michael eine noch größere Chance: Ihm war aufgefallen, dass es vielen Eltern fürchterlich peinlich war, wenn sie gefragt wurden, ob ihr Kind »noch nicht trocken« sei. Bingo! Das war der große wunde Punkt bei Eltern, deren Kinder an der
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