Lebe lieber übersinnlich - 02 - Dreams 'n' Whispers
können, aber Arianna hasste Spiegel und so saß ich mitten in unserem winzigen Wohnzimmer. Beschweren konnte ich mich allerdings nicht, denn allein hätte ich nie so ein tolles Kostüm zustande gebracht. Manchmal zahlte es sich echt aus, eine untote ehemalige Modedesignstudentin zur Mitbewohnerin zu haben.
»Okay.« Sie trat zurück, um ihr Werk zu begutachten, und nickte zufrieden. »So kannst du gehen.«
Ich sprang sofort auf, um mich im Badezimmerspiegel zu betrachten. »Wow, Arianna, ist das abgefahren!«
Meine rote Perücke und das breite lila Haarband passten perfekt zu dem lila Kleid, der rosa Strumpfhose und dem grünen Seidenschal. Ich hatte Scooby Doo immer geliebt. Er und seine Gang waren das komplette Gegenteil von mir: Sie jagten Monster, die sich als Menschen herausstellten, und ich enttarnte angebliche Menschen als tatsächliche Monster. Sie hatten es besser getroffen, fand ich. Noch dazu hatten sie einen ziemlich lässigen Van.
»Okay so?«, rief Arianna von nebenan.
»Du bist ein absolutes Genie! Ich bin die coolste Daphne, die es je gab!«
»Und dann auch noch so bescheiden.«
Ich ging zurück ins Wohnzimmer. Sie saß schon wieder vor dem Computer und spielte.
»Willst du nicht mitkommen?«, fragte ich.
»Halloween ist nichts für mich.«
»Ach was, jetzt komm schon, Halloween ist doch dein Abend!«
Sie sah hoch und bedachte mich mit einem ausdruckslosen Blick. »Danke, ich verzichte.«
Mein schlechtes Gewissen ließ mich zögern. In letzter Zeit hatte ich mich kaum um sie gekümmert. Sogar bei unserem Easton Heights -Marathon letzte Woche war ich nach gerade mal einer halben Stunde eingedöst. Natürlich sagte ich ihr nichts davon, aber dieser Über-Vamp in Schweden hatte meine Abneigung gegenüber Vampiren wieder hochkochen lassen und gerade fiel es mir ziemlich schwer, Arianna auch nur direkt anzusehen. Außerdem wirkte sie seit ein paar Wochen extrem verschlossen und ungesellig. Das heißt, noch verschlossener und ungeselliger als sowieso schon.
Aber sie hatte sich immerhin die Zeit für mein geniales Kostüm genommen. Da war es doch das Mindeste, dass ich versuchte, sie zum Ausgehen zu überreden. »Na, komm. Es wird sicher lustig! Außerdem sind Vampire dieses Jahr total hip, du bist also automatisch die Coolste von allen! Du willst dich doch wohl nicht an Halloween in dieser ollen Bude hier verschanzen, oder?«
Ihre Augen wurden schmal. »Doch, genau das will ich, herzlichen Dank auch. Außerdem werde ich dir bestimmt nicht meine Gesellschaft aufbürden, wo du sie doch ganz offensichtlich nicht genießt. Dein Mitleid kannst du dir echt sparen, Evie.«
»So ist das doch gar nicht!«
Sie seufzte und widmete sich wieder ihrem Spiel. »Egal, schon gut. Ich kapier’s ja. Ich würde auch nicht mit mir rumhängen wollen.«
Ich wollte ihr gerade widersprechen, als es draußen hupte. Ich legte ihr die Hand auf die Schulter, aber sie schüttelte sie ab, ohne mich noch einmal anzusehen. Wenn Arianna in einer ihrer düsteren Stimmungen war, waren alle Versuche, sie aufzuheitern, sinnlos. Während ich die Treppe runter und durch das Diner huschte, versuchte ich, meine Schuldgefühle abzuschütteln. Lend stieg aus dem Auto, als ich rauskam; er war an diesem Donnerstag extra für mich nach Hause gekommen. Ich runzelte die Stirn. »Du hast dich ja gar nicht verkleidet!«
Grinsend hielt er mir die Tür auf. »Und ob. Tadaa, ich bin: der Sichtbare!«
Ich boxte ihm vor die Brust. »Faulpelz.«
»Hey, ich bin schließlich jeden Tag verkleidet. Du dagegen nur einmal im Jahr, was ja wohl dich zum Faulpelz macht. Na ja, aber da du mit deiner rosa Strumpfhose so süß aussiehst, will ich mal nichts weiter dazu sagen.«
»Wie überaus großzügig.« Er gab mir einen langen Kuss, bei dem mir ganz warm und glücklich zumute wurde. Wir waren auf dem richtigen Weg.
Auf der Fahrt zu seinem Dad sah ich aus dem Fenster und erspähte voller Freude die ersten Gruppen von Kindern, die Süßigkeiten sammelten. Daran erinnerte ich mich noch vage aus der Zeit, als ich noch klein war. Eine meiner Pflegefamilien hatte ziemlich viel Aufhebens um Halloween gemacht; wir hatten Kürbisse zurechtgeschnitzt und alles, was dazugehörte. Die Leiterin meines letzten Kinderheims dagegen war der Meinung gewesen, Halloween wäre zu gefährlich, also mussten wir alle drinbleiben und uns dreimal hintereinander denselben Charlie-Brown-Trickfilm ansehen. Bis heute kann ich Beagles nicht ausstehen.
Raquel wiederum
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