Lebe lieber übersinnlich - 02 - Dreams 'n' Whispers
hey«, sagte sie dann und zeigte auf eine Reihe dicker Mappen auf dem Schreibtisch. »Ich hab Infomaterial von ein paar anderen Colleges in Washington und Umgebung bestellt.«
»Warum?«
»Plan B. Du weißt schon, nur für den Fall der Fälle.«
Ich zog ein finsteres Gesicht. Man könnte fast meinen, dass sie diejenige war, die sich ständig heimlich mit Raquel rumtrieb. »Ich brauche keinen Plan B.«
Wieder verdrehte sie die Augen. »Sei nicht albern. Es kann immer sein, dass irgendwas nicht klappt. Man muss sich mehrere Alternativen offenhalten. Sei lieber froh, dass du überhaupt welche hast.«
»Ich brauche keine Alternativen. Bis später dann.« Und damit schlug ich die Tür lauter hinter mir zu, als nötig gewesen wäre.
Unten schlüpfte ich erst mal in die Küche, wo ich Nona und Grnlllll dicht beieinanderstehen und sich über irgendetwas auf Nonas Arm beugen sah. Ich blinzelte, überzeugt, dass mich meine Augen täuschten. Es sah nämlich so aus, als unterhielten die beiden sich mit einer Art leuchtend orange glühendem Gecko oder Salamander, aber das konnte ja nicht sein.
Andererseits war Nona ein Baum. Also konnte man wohl so ziemlich nichts, was sie machte, als seltsam bezeichnen. Oder alles. In diesem Fall gab es einfach kein »normal«.
»Hey, Nona!«
Sie richtete sich gerade auf, warf mir einen misstrauischen Blick zu und verbarg ihren Arm schützend hinter dem Rücken. Ich runzelte die Stirn und fragte mich, ob ich das Ding darauf nicht sehen durfte oder ob sie nur generell angesäuert war, weil ich kaum noch zur Arbeit kam. »Soll ich heute servieren oder an die Kasse?«
»Weder noch, Evie. Danke. Du kannst gehen.«
»Okaaay …« Hier war definitiv was faul. Nach ihrem Geflüster mit Grnlllll und dem heimlichen Treffen mit Reth kam mir Nona wirklich langsam verdächtig vor. Und dann war da auch noch diese Art, wie sie mich ansah, immer wenn sie dachte, ich würde es nicht mitkriegen – als würde sie, ich weiß auch nicht, warten. Worauf auch immer. Ich war mir ziemlich sicher, dass ich es gar nicht wissen wollte.
Und ich schwöre, als ich durch das Diner nach draußen ging, folgte mir jedes einzelne Paar Augen im Raum – und kein einziges davon war menschlich. Ich unterdrückte ein Schaudern und zog mein Handy aus der Tasche, um Lend anzurufen, damit er mich abholte. Heute würde ich auf keinen Fall allein unter freiem Himmel herumspazieren.
Mein Kopf näherte sich gefährlich der Tischplatte. Die glatte, eintönige Oberfläche aus Holzimitat war einfach zu einladend und die glatte, eintönige Stimme meines Englischlehrers im Hintergrund schien ein bislang unentdecktes Heilmittel für Schlaflosigkeit zu enthalten.
Ich konnte mich nicht erinnern, wann ich mich zuletzt so gelangweilt hatte. Wenn ich doch nur schon offiziell an der Georgetown angenommen wäre. Dann könnte ich mich endlich entspannen, aber im Moment konnte ich mir keine Schnitzer mehr erlauben, falls sie meine Noten noch mal überprüften.
Was auch der Grund für einen weiteren Extrapunkte- »Fun-Run« war, den ich in der Mittagspause für die liebe Miss Lynn absolvieren würde. »Fun-Run«, die Bezeichnung war echt ein Witz in sich. Genauso gut könnte man »braver Gremlin« sagen, oder »freundliche Moorhexe«, oder »unterhaltsames Geschichtsbuch«. Das war schon mein dritter Lauf diese Woche und ich war überzeugt, dass mich diese verpiepte Sportnote Jahre meines ohnehin schon verkürzten Lebens kosten würde. Na gut, immerhin war Laufen so anstrengend, dass ich mich dabei nicht langweilen konnte. Im Gegenteil zu jetzt.
Ich unterdrückte ein Gähnen. Wenn doch nur irgendwas – egal, was – passieren würde. Vielleicht würde Lend ja wieder kommen und mich retten und wir könnten noch mal so einen magischen Nachmittag miteinander verbringen und die Spannung überwinden, die in manchen Momenten noch immer zwischen uns stand. Ich stützte den Kopf auf die Faust und starrte Richtung Tür.
Was, wenn ein Zombie hereinkäme, nach Tod und Verfall stinkend? Wahrscheinlich würde er sich als Erstes auf den rabiaten Fußball-Rotschopf stürzen, der direkt an der Tür saß. Einen Zombie würde ich doch mit links erledigen. Das Lineal auf dem Lehrerpult sah aus, als hätte es ziemlich scharfe Kanten, und wie cool ich dann vor meinen Klassenkameraden dastünde! Besonders, wenn ich Tasey dabeihätte.
Seufzend legte ich den Kopf zurück und starrte an die Decke. Es würde nicht funktionieren. Kein Lineal war so
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