Lebe lieber übersinnlich - 02 - Dreams 'n' Whispers
über mich herein. Ich ließ mich wieder auf den Rücken fallen und vergrub mein Gesicht in den Händen.
Ich hätte ihn getötet.
Ich wollte ihn töten.
Ein schlechtes Gewissen ist ein hartes Ruhekissen
Lend nahm seinen Arm gar nicht mehr von meinen Schultern, er umarmte mich und hielt mich gleichermaßen aufrecht. Auch wenn ich von nervöser, schuldbewusster Energie nur so strotzte, fühlte ich mich gleichzeitig wie ausgehöhlt, als könnte ich jeden Moment zusammenbrechen. Vor uns tigerte Raquel auf und ab, unter ihren Pumps brachen kleine Zweige. Nachdem David sie angerufen hatte, hatte sie uns zum Reden mit in die Zentrale nehmen wollen, aber Lend hatte sich geweigert.
Jetzt tauchte Jack wieder auf, völlig außer Atem. »Hab allen erzählt, die Polizei wäre hierher unterwegs; der Friedhof ist geräumt.« Glücklicherweise erinnerte sich Carlee an nichts, was passiert war, als sie im Bann des Vampirs gestanden hatte. Sie fühlte sich bloß ein bisschen benommen und vermutete, ihr hätte jemand irgendwas ins Glas gekippt. Wenn es das nur gewesen wäre. Jedenfalls hatte Jack sie genauso ahnungslos wie vorher zurück zu den anderen gebracht.
Finster sah er Lend an. »Ich wollte sie gerade retten. Du hättest nicht zu kommen brauchen.«
Ich warf ihm einen wütenden Blick zu. Er hatte mich nicht gerettet. Das hatte Lend getan. Der dachte, er hätte mich davor bewahrt, von dem Vampir ausgesaugt zu werden, aber in Wirklichkeit hatte er mich davor bewahrt, den Vampir auszusaugen. Ich fragte mich, was er wohl sagen würde, wenn er wüsste, dass er das falsche Monster angegriffen hatte.
Nein. Ich war kein Monster. Über-Vamp hatte es nicht besser verdient. Und Lend hatte mich vor mir selbst gerettet. Alles war in Ordnung.
»Jetzt hör doch mal«, sagte ich. »Das macht überhaupt keinen Sinn. Es gibt keine andere Erklärung außer den Feen!«
»Aber warum sollte eine Fee den Vampir aus der Zentrale entführen?«
Ich gab mir alle Mühe, nicht die Augen zu verdrehen. »Äh, damit er mich umbringt? Weil die mich hassen? Sie hatten schließlich auch Vivian auf mich angesetzt. Das ist wahrscheinlich bloß die neue Taktik der Dunklen Königin. In letzter Zeit gab es einfach zu viele Zufälle und seltsame Angriffe, in die die Feen irgendwie verwickelt waren.«
»Aber dass der Vampir in der Zentrale war, wussten doch nur die Transportfeen.«
»Eine einzige reicht ja auch, oder?«, entgegnete Lend.
Raquel stieß einen Seufzer aus; ich war zu müde und nervös, um auch nur zu versuchen, ihn zu übersetzen. »Ich habe unsere Protokolle überprüft und die beiden Transportfeen, die ihn damals in die Zentrale gebracht haben, hatten einen Auftrag und ein Alibi für die ganze Nacht.«
»Und wie erklärst du es dir dann, dass seine Fußfessel deaktiviert wurde?«, fragte ich.
Sie rieb sich die Augen. »Das kann ich nicht. Vielleicht ein Datenfehler? Wir konnten nicht sehen, ob die Fußfessel jemals richtig aktiviert worden war, was eigentlich auch kein Problem gewesen wäre, da er ja nie aus der Verwahrung hätte entlassen werden dürfen.«
»Wie überaus beruhigend.«
»Wir haben ihn jetzt in den Hochsicherheitstrakt verlegt und ich verspreche dir, da kann ihn noch nicht mal eine Fee rausholen.«
Ich verschränkte die Arme. Mir war klar, dass ich mich wie ein trotziges Kind benahm, aber es war spät, ich war müde und mein Zuckerhoch hatte sich in ein Rekordtief verwandelt. Was für ein schrecklicher Abend. Es war schrecklich, was ich getan hatte. Und es war schrecklich, dass ich es nicht schrecklich fand, sondern ein kleiner Teil von mir immer noch der Meinung war, dass ich vollkommen im Recht gewesen war. Als gäbe es in meinem Leben nicht schon genug offene Fragen; ich hatte keine Lust, mich jetzt auch noch fragen zu müssen, ob mein Charakter zu wünschen übrig ließ.
»Na schön. Dann gehe ich jetzt nach Hause. Und wenn ich zu spät zur Schule komme, weil ich verschlafe, dann erwarte ich, dass du da anrufst und mich entschuldigst.«
Raquel tätschelte mir die Hand, warf noch einen prüfenden Blick auf meinen Hals und dann brachte Lend mich nach Hause. Er kam mit nach oben und nahm mich in den Arm, als ich in Tränen ausbrach, sobald wir in meinem Zimmer waren.
»Es tut mir so leid. Ich hätte dich nicht allein gehen lassen dürfen. Wenn ich nicht zurückgekommen wäre … ich darf gar nicht dran denken, Evie. Es tut mir so furchtbar, furchtbar leid.«
Ich schüttelte den Kopf und vergrub das Gesicht an
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