Leben aus der Asche
hatte ihn unterwegs irgendwo aufgelesen und mitgebracht.
Dem Vernehmen nach sollte er früher einmal Gedichte geschrieben haben, aber das war ein unbestätigtes Gerücht, das er selbst in die Welt gesetzt hatte, als er einmal betrunken war. Gerald Brooks war an diesem Abend dabeigewesen und hatte erlebt, wie Tormayer, hochrot im Gesicht, einen Tisch bestiegen hatte und pathetisch ein paar Verse deklamierte, die – um es milde auszudrücken – so ziemlich das Gegenteil aussagten von dem, was General Hamilton erreichen wollte. Tormayer gab sich als militanter Pazifist, aber da er sich meistens nur mit Kartenspielen oder mit Würfeln die Zeit vertrieb, nahm niemand diese »innere Sendung« ernst.
Simon Dee betrat den Funkraum. Tormayer saß vor dem Gerät, die Kopfhörer übergestreift, und knabberte an den Fingernägeln.
Als er Dee sah, steckte er die Hände in die Hosentaschen.
»Was willst du denn hier, ich habe doch Dienst, Mann«, sagte Tormayer.
»War mir zu langweilig in der Kantine«, antwortete Dee. Er sprach absichtlich leise, so daß Tormayer ihn wegen seiner Kopfhörer nicht verstehen konnte.
»Häh?« machte Tormayer.
Dee grinste und deutete auf die Kopfhörer.
»Ach so, ich kann ja nichts hören«, sagte Tormayer und schob die Kopfhörer zurück, so daß sie ihm vor der Schulter baumelten.
Dee biß sich auf die Lippen. Wenn Tormayer die Kopfhörer nicht ganz ablegte, hörte er, wenn Davies funkte.
»Aufregend ist es hier ja auch nicht grade«, machte Dee und setzte sich umständlich.
»Nee.«
»Wollen wir nicht mal einen zocken?« Dee gebrauchte Tormayers Lieblingswort für würfeln.
Tormayer machte ein zweifelndes Gesicht.
»Ich weiß nicht, ich bin doch im Dienst!«
Dee zog eine Zigarre aus der Tasche. Er wußte, daß Tormayer ganz wild auf Zigarren war.
»Mann, wo hast du denn die her?«
Dee lächelte.
»Meine Sache!«
Tormayer biß die Spitze der Zigarre ab und spuckte die Krümel auf den Boden. Er drehte das Ende der Zigarre im Mund und zündete sie an.
Er paffte schweigend.
»Du weißt gar nicht, was du mir damit antust«, sagte er nach einer Weile.
»Nun tu mir aber auch mal einen Gefallen«, sagte Dee. »Lege mal einen Moment die Kopfhörer weg und zocke einen aus mit mir!«
Tormayer sah ihn gequält an.
»Simon, ich kann doch nicht! Wenn da der Alte dahinterkommt ...«
»Wie denn? Stell dich doch nicht so an!«
Tormayer bekam einen pfiffigen Gesichtsausdruck.
»Schön«, sagte er hinterlistig, »worum soll es denn gehen, mein Guter?«
»Um zwei Zigarren!«
Tormayer streifte wortlos die Kopfhörer ab und warf sie achtlos auf den Tisch.
»Okay«, sagte er und krempelte sich die Ärmel hoch. Plötzlich verzog sich sein Gesicht. »Es geht doch nicht«, sagte er.
»Warum nicht?«
»Ich habe ja keine Zigarren!«
Dee unterdrückte einen Fluch und bemühte sich krampfhaft, ruhig zu bleiben. Er wußte, daß das alles zu Tormayers Taktik gehörte, den Gegner schon vorher zu zermürben. Da half nur eins, er mußte auf seinen Ton eingehen, sonst ließ Tormayer endlose Tiraden los.
»Ich ziehe dir sowieso das Hemd aus«, sagte Dee leichthin, »du kennst mich nur noch nicht.«
Tormayer zog die Augenbrauen hoch.
»Du weißt wohl nicht, wen du vor dir hast?« fragte er. Dann dämpfte er seine Stimme. »Ich sag's auch nicht weiter, wie ich dich hier fertiggemacht habe!«
Dee ließ die Würfel über den Tisch rollen.
»Chikago einfach oder scharf?« fragte er.
»Scharf!« sagte Tormayer lauernd.
*
Dave Davies war nervös. Er sah alle paar Minuten auf die Uhr. Der verabredete Zeitpunkt rückte immer näher.
Er zögerte noch etwas, und als es soweit war, gab er sich einen Ruck. Er stellte das Gerät auf Sendung um und sprach seine Botschaft, ohne eine Reaktion abzuwarten. Er wiederholte sie dreimal und schaltete das Gerät wieder auf Empfang.
Aber er bekam keine Antwort. Er wollte auch keine haben. Die Leute von Jackville wußten jetzt, was sie wissen mußten. Sie hatten Termine, Daten und die genaue Lage des Bunkers. Jetzt war es an ihnen, schnell und entschlossen zu handeln. Denn viel Zeit hatten sie nicht mehr.
Jetzt ging es um Tage.
Wenn nicht um Stunden.
*
Simon Dee schwitzte. Auf seiner Stirn standen kleine, helle Schweißtropfen.
»Chikago!« sagte Tormayer triumphierend.
Dee machte eine resignierte Geste.
»Kann man nichts machen«, sagte er.
»Also von mir aus kannst du noch mal Revanche haben«, sagte Tormayer mit gespielter
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