Leben bis zum Anschlag
Surprise
»Legt mal’n Zahn zu!«
Ausgerechnet Leif, der üblicherweise durch Abwesenheit glänzende Chef, treibt seine vier verbliebenen 400-Euro-Jobber unablässig zum schnelleren Arbeiten an. Er selbst wühlt seit einer halben Stunde auf der Bühne herum und versucht die Soundtechnik einzurichten. Es sieht jedoch ganz und gar nicht danach aus, als ob dabei etwas anderes als Kabelsalat zustande käme.
»Hätte nach Mehmets gestrigem Auftritt nie für möglich gehalten, dass ich mich schon heute nach ihm sehne«, murmelt Dali.
Breite Zustimmung von Nora und Maika.»Alles besser als das.«
Leif kontrolliert seine Putzcombo, und das stellt für alle eine ungewöhnliche und wenig attraktive Arbeitskonstellation dar.
»Ist die Bar endlich fertig?«
»Die kommt zum Schluss dran!«, sagt Maika eine Spur lauter, als für die Entfernung zur Bühne notwendig gewesen wäre.
Keath und Dali wollen sich freiwillig zum Putzen auf das Männerklo verdrücken. Lieber das als mit Leif auf der Bühne Kabel entwirren, aber ihr Entschluss kommt zu spät.
»Kommt mal her!«, brüllt Leif ihnen nach. Er hat bei seinem selbst inszenierten Chaos endgültig den Durchblick verloren.
Mit Mühe und wenig Erfolg versuchen die beiden, ihre frustrierten Mienen in undurchschaubare zu verwandeln.
»Urlaub machen, ohne was zu sagen«, Maika pfeffert den Wischmopp in die Ecke, »uns einfach hängen lassen, das ist das Allerletzte.«
»Ich mach den Lokus.« Auch Nora will sich verziehen und nimmt dafür fiese Attacken auf ihren Geruchssinn in Kauf.
»Bitte, lass mich! Du hast was gut bei mir, wenn du die Bar für mich übernimmst.«
Das haut Nora aus den Latschen. »Okay«, sagt sie ungläubig.
»Wenn Leif noch mal den Putzkolonnenchef raushängt, sag ich womöglich noch was Unüberlegtes«, erklärt Maika.
»Dali hat recht, wär Mehmet hier, wer weiß, vielleicht wäre die Stimmung genauso beschissen wie jetzt, aber wenigstens wär er bei uns«, sagt Nora.
»Evet. Das hört euer Mann aus Istanbul gern«, sagt Mehmet, der Mann aus Lüneburg, hinter ihr.
Nora fährt herum und starrt ihn an. Peinlich, dass Mehmet das gehört hat. Aber dafür zieht sich Leif augenblicklich zurück, und das ist viel wert. Außerdem grenzt es ans Wunderbare, wie sich allein durch Mehmets Erscheinen der Kabelsalat auflöst. Dali hört nicht auf, seinem vermissten Freund auf die Schulter zu klopfen, und der bringt es sogar fertig, Keath zuzunicken. Keine Sekunde bereut Mehmet, dass er die Reformationssinfonie von Mendelssohn Bartholdy und das Geigenspiel von Kumiko und Yumi zugunsten des Auftritts der Hamburger Band Rehwix hat sausen lassen. Auch Hakan vermisst er nicht.
Einzig Maika hadert mit ihrem Schicksal und bereut ihre Bitte,
das Scheißhaus putzen zu dürfen, bitter. Während sie Kacheln wischt, ist sie sich sicher, dass es Leifs Schuld ist, dass sie
bis jetzt keine Schulanmeldung gemacht hat,
Mao noch nicht gefunden hat,
auf keine Entscheidung zum Entzug von Anja hoffen kann,
die Kacheln putzen muss.
Die vier Bandmitglieder von Rehwix wuchten gerade ihre Instrumente auf die Bühne, als Maika die Tür zu den Lokussen hinter sich zuschmeißt und brüllt: »Ekelhaft! Iiiiiih! Boääääääääh! Würg!« Sie zieht die Putzhandschuhe ab und wirft sie aus großer Distanz in Richtung der blauen Müllsäcke. Purer Zufall, dass sie in einen hineintrifft.
Das Ekelgefühl kennt Nora aus dem Effeff, und sie ruft Maika über die Schulter zu: »Das Hände-Desinfektionsmittel steht neben dem Katzenfutter im Putzschrank!«
Sie bekommt keine Antwort.
»Hast du’s gefunden?«
Stille.
Nora verlässt die Bar und bekommt gerade noch den Blickwechsel zwischen Maika und Frank Stein, dem Bandleader von Rehwix, mit.
Zwischen Frauen- und Männertoiletten hat Dali Maikas Graffito auf die Wand gesprüht und sie als Manga-Girl mit nackten Beinen dargestellt, das auf einer Giraffe mit brennender Mähne reitet. Frank Steins Blick wandert zwischen Modell und Porträt hin und her.
Die Ähnlichkeit ist unverkennbar.
Und in diesen Blickkontakt hinein setzt augenblicklich Maikas Verwandlung von der Toilettenputzkraft in Lara Croft ein.
Nora hält den Atem an. Ist da etwa ein feines Reißen von dünnem
Stoff zu vernehmen, als Maikas Titten um ein Vielfaches anschwellen? Oder hat sie sich das nur eingebildet?
Aber die acht Augäpfel der Rehwix- Musiker fallen beinahe auf den frisch gewischten Boden.
Maika kann das. Kerle lösen es aus, dass sie es kann.
»Goschn
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