Leben bis zum Anschlag
wie Leif Nora: »Wo ist Maika?«
»Kommt gleich wieder.«
»Was heißt gleich?«
»Bald, paar Minuten, in Kürze«, präzisiert Nora.
»Vertrittst du sie heute an der Bar?«
Was ist los mit dem Chef? »Nein, sie holt nur kurz was von zu Hause. Bis zum Einlass ist sie da«, hofft Nora inständig. Ihr Vater reist morgen wieder ab, und das gemeinsame Familienabendessen ist nicht optional verabredet worden. Wenn sie nicht auftaucht, gibt es Ärger, und Nora hat die Toleranz ihrer Eltern bereits arg überstrapaziert.
Leif versucht Maika auf dem Handy zu erreichen, aber sie geht nicht ran. Das ist ein beunruhigendes Zeichen.
»Soll ich ihr was ausrichten?«, fragt Nora.
Nein. Leif hat Hunger, er will essen gehen, mit Maika. Nach einem Blick auf die Uhr gibt er ihr noch fünf Minuten. Die nutzt er, um mit Mehmet Organisatorisches abzusprechen. Morgen muss du … vergiss nicht … ruf da an … bestell auch gleich … und denk an … Für ihn selbst bleibt am Ende nichts mehr zu tun und nichts hält ihn mehr auf. Dann zieht er eben ohne Maika durch die Gemeinde.
Kaum ist Leif weg, knöpft sich Nora Mehmet vor. »Können wir jetzt reden oder haust du wieder ab?«
»Jetzt geht’s aus rein clubtechnischen Gründen nicht.«
»Also Montag. Vor dem Club.«
Zwischenzeitlich hat Maika all ihre ärmellosen Kleider verworfen, drei Röcke, drei Blusen, eine Shorts, zwei Jeans, nahezu sämtliche
T-Shirts und ist wieder bei der ursprünglichen Wahl, den schlichten schwarzen Anziehsachen, angelangt. Im Badezimmer sind sämtliche Handtücher ausgetauscht, und in der ganzen Wohnung liegt der Duft von Eau de Cartier, den sie in den Umziehpausen verspritzt hat. Die Helligkeit der Zimmerlampen ist heruntergedimmt und vor allen Musikabspielgeräten liegen ihre Lieblingsscheiben. Sogar eine Zehnerpackung weißer Haushaltskerzen hat sie noch aufgetrieben. Eigentlich ist alles bereit. Wofür? Aus dem Spiegel blickt Maika ein ratloses blasses Mädchen an. Hat sie in der vergangenen Stunde Gewicht verloren? Gut möglich. Sie seufzt, dreht sich einmal um die Achse und putzt noch mal die Zähne. Zum dritten Mal. Und wo sie schon dabei ist, kann sie auch gleich den Müll runterbringen.
Es ist jammerschade, dass keine Blumen da sind. Maikas Schultern krachen, so sehr hat sie an ihrer eigenen Last zu tragen. Ihr Blick fällt auf die Uhr. Auweia. Sie muss los!
Die Unschlüssigkeit hängt ihr wie Blei an den Füßen, und die sind nackt. Seufz, die Sandaletten sind im Club. Soll sie die anziehen oder was anderes? Einfach Turnschuhe. Nein, sie braucht Absätze. Mindestens acht Zentimeter. Drunter geht gar nichts.
Verabredung zum ernsthaften Gespräch mit Mehmet in Sachen Freundschaft, die zweite: am Montag, direkt nach der Schule und vorm Club. Nora sagt Keath Bescheid. Der hält draußen die Rehwix -Fans in Schach.
»Lass uns in den Schuppen zum Knutschen gehen«, sagt Keath sehnsüchtig.
»Lass uns lieber ins Hotel gehen«, flüstert Nora.
»Ich mach die Tür auf und lass das Pack rein, dann hauen wir ab.« Keath weiß, dass Nora nach Hause muss.
»Ich muss erst mal Dali dazu kriegen, dass er für mich Maika an der Bar vertritt.«
Dali steht schon hinter der Bar, allerdings nur so lange, bis erden Kronkorken von seiner Bierflasche weghat.
»Bitte, Dali, unsere Diva wird dir ewig dankbar sein.«
»Nee, nicht schon wieder.«
»Mein Vater fährt heute Nacht. Und dann seh ich ihn ewig nicht mehr. Maika kommt gleich wieder.«
»Nein, tut mir leid. Ihr mögt die Rehwixer ja nicht, aber ich will unbedingt das Konzert mitkriegen und …«
»Ich ruf sie an und frag, wann sie da ist, okay?«
»Ich hab Nein gesagt! Sack Zement! Nein!« Dali haut auf den Tresen, dass der Kronkorken in die Luft fliegt.
Nora zuckt zusammen. »Okay, aber frag mich nie wieder nach Hausaufgaben, Aufsätzen oder Projektarbeiten für deine Scheißkurse.« Jetzt reicht’s ihr endgültig. »Egoist!«
Sämtliche an der Schule jemals verfassten Arbeiten hat Nora in ihrem Archiv und versorgt nicht nur Dali mit den Daten. Sie erleichtert ihm damit sein schulisches Leben definitiv. Er könnte ihr durchaus auch ein Stück entgegenkommen!
»Lewandowskalingerin! Ich hab immer geblecht dafür. Immer! Wie kommst du auf die Idee, ich sei dir was schuldig? Bin ich nicht, verdammt!«
Stimmt, denkt Nora, er hat recht. »Dann bleibt die Bar eben zu, bis Lars kommt.« In etwa zwei Stunden um zehn wird das sein.
»Na, na, na«, Mehmet holt eine
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