Leben bis zum Anschlag
Idiot.«
»Meinst du nicht, Jennifer hätte da ein Wörtchen mitzureden?« , fragt Mehmet. »Vielleicht will sie mich ja knutschen und findet, dass ich ein 1-a-cooler-Küsser bin?«
»Vielleicht«, gibt Hakan mit gepresster Stimme zurück. »Aber auf jeden Fall teilt sie meine Ansicht über deine Musik. Und wenn ich dir da noch einen unentgeltlichen Tipp geben darf: Lass die Finger von deinen musikalischen Versuchen. Die sind einfach schlecht. Du machst dir was vor und stehst am Ende deiner Tage als erfolgloser Musiker da. Ohne Ausbildung, ein Loser eben. Das sag ich dir als Abgesandter der Familie, die sich große Sorgen um deine Zukunft macht.«
In der Sekunde ist Mehmet arschklar, dass er sofort zurückfahren und mit aller Kraft da weitermachen muss, wo er aufgehört hat, noch entschiedener und besser als vorher.
Vor dem Imbiss gehen genau in diesem Moment zwei schwarzhaarige Mädchen mit Geigenkästen vorbei. »Komm mit, du hasserfülltes Arschloch.«
Mehmet zerrt seinen Cousin am Arm nach draußen. Die Proteste des Muskeltyps ignoriert er, weil er fieberhaft die Rückenansicht der Mädchen nach Indizien absucht, ob sie die Japanerinnen aus dem Zug sind oder ihm unbekannte Koreanerinnen, Chinesinnen oder Taiwanerinnen. »Wartet mal!«
Die beiden Mädchen drehen sich um und lächeln. Sie sind es! Mehmet kommt es so vor, als würde ihr Lächeln Millionen von roten Backsteinen in der Lüneburger Altstadt in Goldbarren verwandeln. »Hi, DJ-Çay!«
»Hi, habt ihr einen Moment Zeit?«
»Wir müssen leider proben. Wir spielen heute Abend in der St.-N icola i-Ki rche.«
»Schade.«
»Find ich auch. Deine CD ist spitze. Danke«, sagt die Größere.
»Ja, super! Ich hab sie ins Netz gestellt. Wetten, DJ Seven spielt sie …«, die Kleinere schaut auf die Uhr, »… eben jetzt im Super Splendid in Roppongi?« Sie strahlt.
»Wo?« Hakan versteht nur Bahnhof.
»Mein Cousin Hakan«, stellt Mehmet ihn vor. Dann sich: »Ich bin Mehmet.« Und an Hakan gewandt: »Das sind …«
»Kumiko«, sagt die Größere.
»Ich bin Yumi. Hallo, Hakan. Roppongi ist ein Stadtteil von Tokyo. Da ist unser Lieblingsclub. Shinjuku ist mit dem Kiez in St. Pauli vergleichbar, Shibuya ist mehr für Kids, aber in Roppongi gibt es die besten Insider-Clubs für Mitglieder, seitdem die großen Clubs pleitegegangen sind. Da gehen Mehmets Fans zu seiner Musik ab wie Feuerwerkskörper.«
»Wenn ihr in Hamburg seid, können wir mal zusammen ein Geigenstück machen«, schlägt Mehmet vor.
Die Mädchen reißen den Mund auf und funkeln mit den Augen. »Echt? Ja, klar. Auf jeden Fall! Machen wir.«
»Ich meine es ernst.«
»Cool.« – »Wir auch.«
»Was spielt ihr in der Kirche?«
»Die Reformati onssinfonie von Felix Mendelssohn Bartholdy.«
»Aha.«
Bis auf Hakan lachen alle.
»I’m not small ist mein Lieblingsstück. Wer singt das?«, fragt Yumi.
»Nora.«
»Ist das nicht die, die den U A-Club macht?«
Mehmet nickt.
»Schreibt sie auch die Texte?«
»Text, Melodie und Gesang sind von Nora, alles andere ist von mir.«
»Ihr seid ’n Spitzenteam«, sagt Kumiko.
Dann winken die beiden und gehen los zu ihrer Probe.
Hakan sieht aus, als stünde er kurz vorm Erbrechen.
»Niemand außer mir verlässt meinen Laden, ohne zu zahlen«, meldet sich hinter den Cousins der messerwetzende Inhaber des Merhaba zu Wort.
»Tamam«, murmelt Mehmet, »is ja schon gut, Mann.«
»Aber zack-zack.« Kompromisslos, der Mann.
»Okay-okay!«
Die Fähre legt ab.
Keath steht in der prallen Sonne am Anleger Fischmarkt und wedelt sich mit den HVV-Tickets Luft zu. Die geben wenig Luft, denn die Billetts sind klein, und es ist schon die zweite Fähre, die er abfahren lässt.
Wo ist Nora? Wo steckt sie bloß?
Schwitz. Er verlässt den Anleger. Wenn er nicht sofort was zu trinken bekommt, verdampft er in der Sonne, zerfällt zu Staub und wird von einem schwanzwedelnden Hund in die Elbe gefegt.
In der Fischaukti onshalle räumen ein paar Leute auf. Die Tür ist verschlossen. Nach dem Fischmarkt gibt es hier Brunch, aber nur bis Mittag. Jetzt ist es 13:34. Die Fähren verkehren viertelstündlich, und Keath klebt die Zunge am Gaumen. Er klopft an die Scheibe und mimt den Verdurstenden. Einer der Putzkollegen in der Halle versteht, was er meint, und hat Erbarmen. Er bringt ihm einen großen Plastikbecher Wasser.
»Uff, danke.«
»You’re welcome, Bro.«
Der Wasserspender kommt aus Sierra Leone und heißt John. Das kriegt Keath gerade noch
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